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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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    Er war groß und extrem hager, meistens ging er leicht gebeugt, mühselig, als müßte er sich anschieben. Er wirkte weit älter als er war, ein harter, strenger Mann mit schleppender Sprechweise. Mitunter glich seine Diktion einer Schnecke, die nie ans Ziel kommen wird. In der Presse wurde Thomas E. Gregory fast nie erwähnt; hinter Washingtons Kulisse jedoch als einer der einflußreichsten Männer Amerikas gehandelt. Der ›große Gregory‹ war ein Mann, der im Weißen Haus jederzeit Zutritt zu Mr. President hatte.
    Er galt als rücksichtslos, zäh und durchtrieben, ein scharfer Analytiker mit dem Gesicht einer Mumie, Vicedirector des weitläufigen Hauptquartiers im Wald von Langley, US-Staat Virginia. Tarnung und Bluff waren Gregory so zur Gewohnheit geworden, daß er sich vermutlich vor dem Spiegel bereits selbst austrickste. Heute gab er sich wie ein in den Sielen verbrauchter Manager, dessen Pensionierung überfällig war, aber mich legte er mit dieser Masche nicht mehr herein.
    »Nett von Ihnen, daß Sie so rasch hergekommen sind«, begrüßte er mich, als wäre ich freiwillig angereist. »Guten Flug gehabt, Lefty?«
    »Einen langen Flug, Sir«, erwiderte ich, »achtzehn Stunden, vier Zwischenlandungen und dreimal umsteigen.«
    Ich schaffte es nicht ganz, meinen Groll auf den Mann zu unterdrücken, der aus Vanessa und mir Romeo und Julia gemacht hatte – wenn auch nicht in Verona, sondern auf der Paradiesinsel Bali. Als ich bei seinem nächtlichen Anruf Gregorys Stimme erkannt hatte, verwünschte ich den Umstand, daß ich selbst im Urlaub im entlegensten Winkel der Welt jederzeit erreichbar bleiben mußte. Schon nach den ersten Worten war mir klargeworden, daß meine Stunden mit der bezaubernden Engländerin von der Kanalinsel Jersey gezählt waren – und das genau in jenem Moment, da der Mond den Strand versilberte, die Nacht Mitternachtsblau trug und meine Hände dabei waren, auf Vanessas Haut ein Zuhause zu finden.
    Es war mein erster richtiger Urlaub seit elf Jahren gewesen: Hongkong, Manila, Singapur, indonesische Inselwelt und Bangkok. Und Vanessa war mir so unerwartet zugefallen wie der Haupttreffer im Lotto, den man auch nicht gleich am Sonntagabend kassiert. Ich sagte ihr, ich müßte dringender Dienstgeschäfte wegen eine Stippvisite in die USA unternehmen, und bat sie, im Hyatt meine Rückkehr abzuwarten, womit sie nach einigem Zögern auch einverstanden war.
    Auf der langen Reise – über Manila, Tokio, San Francisco – hatte ich in einer Zeitung gelesen, daß nach einer Untersuchung der bekannten US-Psychologin Dr. Joyce Brother sich der amerikanische Durchschnittsmann zwischen 25 und 40 sechsmal pro Stunde erotische Vorstellungen macht, und Männer über 40 immerhin noch alle 30 Minuten. Aber ich brach unterwegs wohl die Rekorde aller Altersklassen: Während des ganzen Flugs spürte ich Vanessas imitierte Gegenwart, und das war für einen Mann in meinem Metier eigentlich absurd, ungewöhnlich und indiskutabel, aber es schien mir, als wäre ich bereits in eine neue und schönere Zukunft umgestiegen.
    Vanessa hatte mich zum Airport begleitet, und natürlich waren mir die richtigen Worte erst eingefallen, als ich bereits im Jet saß. Ich nahm mir vor, zu halten, was ich noch gar nicht versprochen hatte. Ich war wohl von Vanessa genauso überrumpelt worden wie sie von mir. Wenn ich künftig in Bonn lebte, wäre es am Wochenende nur ein Luftsprung von eineinhalb Stunden nach London, und von London zum Bonner Regierungsflughafen Köln-Wahn wäre es auch nicht weiter. Halb im Scherz, doch mit ernstem Unterton hatten wir davon gesprochen, daß an den geraden Wochenenden ich sie und an den ungeraden sie mich besuchen würde. Ich war Vanessa gegenüber – nur ein wenig der Wahrheit vorauseilend – als US-Diplomat aufgetreten.
    »Mir wäre selbstverständlich die Insel des Lichts auch lieber als unser düsteres Headquarter«, wiegelte der große Gregory ab. »Aber schließlich kann ich Ihnen geheime Unterlagen nicht nach Bali nachschicken – und überhaupt …« Er zitierte Hemingway ohne Quellenangabe: »Life is not a cocktail-party.«
    Auch er war keine Cocktail-Party, ein Puritaner in jeder Hinsicht, Nichttrinker, Nichtraucher, Vegetarier bei Tisch und wohl auch im Bett, aber bei ihm dachte man an andere Dinge als ans Bett. Der Vice hatte einst als Donovans junger Mann begonnen; und Donovan war der erste und vermutlich bislang beste Chef des US-Geheimdienstes gewesen. Seitdem hatte die
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