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Scherben

Scherben

Titel: Scherben
Autoren: Ismet Prcic
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auszuschalten, und als du ins Arbeitszimmer gehst, rennt die Bankangestellte immer noch hinter der Wand herum, und deine Kollegen vom Einsatzkommando sind alle neu gestartet und ziehen ihr Programm durch, spähen, decken, hin und her rennen, um die Frau hinter der Wand herum, der sie niemals helfen können, die sie nicht erreichen können, und endlich kapierst du, wie absurd, unmöglich, dumm und beschissen alles ist.

(… wumm-wumm …) 8
    Es war einmal ein … Es ist ein … Gefängnis. Ein Mensch hat gegen die Gesetze der menschlichen Gesellschaft verstoßen und wurde als Gefangener hierhergebracht. Er hat das Ego eines WUMM! bestimmten Wärters verletzt und wird aufgrund dieses Verstoßes durch einen höhlenartigen schwarzen Gang ins Loch geführt. Seine Strafe: vierzig Tage Einzelarrest. Er hat Geschichten über das Loch gehört, dass sich dort die Realität entmaterialisiert und das Nichts materialisiert. Dass die besondere Art von Dunkelheit im Loch das Gehirn kurzschließen kann. Der Gefangene weiß all das, deshalb tastet er, kaum dass sich hinter ihm der Schlüssel im Schloss gedreht und er einen ersten Eindruck von der alles auslöschenden Dunkelheit und ihrer Macht bekommen hat, nach einem WUMM! Knopf. Zuerst fasst er sich an die Kehle, weil er weiß, dass dort der Kragen seiner Gefängnisuniform ist. Er untersucht mit den Fingern die Umgebung, bis er den Kragen findet und dann den Knopf, den einen Knopf, den er nie benutzt, weil seine Uniform zu klein ist, und weil er ihn, würde er ihn zuknöpfen, ernsthaft am Atmen hindern würde, abgesehen davon, dass er ihn ohnehin nicht zubekommt. Er nimmt den Knopf fest zwischen die Finger und zieht, de WUMM! r Faden, der den Knopf fixiert, gibt nach, und dann hält er ihn in den Fingern, hatihn vom Kragen gelöst, den Knopf. Er ist rund, das merkt er daran, dass sich die Kanten ins Fleisch seiner Fingerspitzen bohren. Er ist aus Metall. Er ist flach, wenn er ihn andersherum hält, aber er spürt eine Unebenheit, und sein Verstand sagt ihm, dass da wahrscheinlich ein Rest Faden hängt, und er zieht mit den Nägeln dran, und tatsächlich hat er jetzt Stücke des Fadens in der Hand, die den Knopf am Kragen festhielten. Er rollt sie zu einer kleinen Kugel zusammen, die er geräuschlos auf den Betonboden fallen lässt. Sie ist für ihn nutzlos, weil sie zu klein ist. Aber der Knopf. Der Knopf hat genau die richtige Größe. Nicht zu groß, nicht zu klein. Er streckt beide Arme in alle vier Himmelsrichtungen von sich weg und findet heraus, dass er die Zellenwand von seinem aktuellen Standpunkt aus rechts und vor sich berühren kann. Sein Hirn rechnet kurz, und er macht WUMM! einen kleinen Schritt nach schräg links und noch einen nach hinten und streckt wieder beide Arme in alle Himmelsrichtungen aus, und jetzt kann er keine Wand mehr berühren. Er steht jetzt in der Mitte des Lochs, und dort beginnt er sich zu drehen, einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal, sechsmal, siebenmal, achtmal, neunmal, zehnmal, und beim zehnten Mal wirft er den Knopf über seine linke Schulter und hört ihn pling, pling , plingedi-pling , pling, pling auf den Beton aufschlagen, bis es wieder ganz still ist. Dann begibt er sich auf alle viere und fängt an, den Knopf zu suchen. Er kriecht so lange herum, wie es eben dauert, bis er im Dunkel darauf stößt, ihn aufhebt, spürt, wie sich seine Kante auf diese vertraute runde Weise ins Fleisch seiner Fingerspitzen bohrt, und er steht auf, breitet seine Arme in alle vier Himmelsrichtungen aus, merkt, dass er die Wand hinter sich berühren kann, rechnet kurz und macht einen Schritt nach vorne, wiederholt den Vorgang, bis er sich in der Mitte des Lochs befindet, dreht sich einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal, sechsmal, siebenmal, achtmal, neunmal,zehnmal, wirft den Knopf über seine rechte Schulter und lauscht, wie er pling, pling , plingedi-pling , pling , pling auf den Beton fällt, bis alles still ist, WUMM! begibt sich auf Hände und Knie und fängt erneut an zu suchen, und das wiederholt er immer und immer wieder, vierzig Tage lang. Er tut es, weil er weiß, wenn er sich nicht verlieren will, muss er seinen Verstand beschäftigen und ihm Aufgaben stellen. Er weiß, er muss es tun, sonst läuft er Gefahr durchzudrehen, einen Kurzschluss zu erleiden, im Kopf. Er weiß, dass er mitten im Nichts, mitten im Loch, so tun muss, als wäre da etwas, diese Aufgabe, den Knopf zu finden, immer und immer wieder, oder sich selbst eine
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