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Die Rueckkehr des Daemons

Die Rueckkehr des Daemons

Titel: Die Rueckkehr des Daemons
Autoren: Thilo P. Lassak
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2. Kapitel
    Stockholm, 30. Juni 1992
    Birger Jacobsens narbiges Gesicht lag auf einem Stapel Akten, als ihn ein schrilles Telefonklingeln aus dem Schlaf riss. Mühsam schlug er die Augen auf, seine Lider waren schwer wie Blei. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Er war in seiner Wohnung, in Stockholm.
    Die Uhr an seinem Handgelenk zeigte 4 Uhr 13. Im Zimmer war es taghell.
    »Verflixter Mittsommer!«, murmelte er. Wie viel angenehmer war doch der Winter, wenn die Sonne nur für wenige Stunden gegen die Dunkelheit gewann. Er spürte seinen steifen Nacken, wieder einmal hatte er bis tief in die Nacht über Unterlagen aus seinem Büro gebrütet. Die Arbeit für das Nobelpreiskomitee fraß ihn noch auf – aber sie hatte viele Vorteile. Für ihn und vor allem… für andere.
    Es klingelte erneut, drängelnd, beinahe fordernd. Er hob den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen fuchsroten Haare. Seit Jahren schon schlief er nicht mehr im Bett. Zwei, drei Stunden unruhigen Schlaf fand er nur noch aufrecht sitzend in seinem Sessel vor dem Fenster. Oder am Schreibtisch, mit einem Kopfkissen aus Akten über die bahnbrechendsten Erkenntnisse der Medizin. VORLEGEN stempelte er darauf, meistens jedoch: ABGELEHNT . BULLSHIT hätte er passender gefunden, denn in seinem Postfach schienen die hoffnungstriefenden Manuskripte aller verwirrten Mediziner der Welt zu landen. Das meiste war nichts anderes als das: Bullshit! Nur sehr selten war etwas wirklich Lesenswertes darunter.
    Wieder klingelte es, schrill und durchdringend. Birger Jacobsen streckte sich und stieß mit dem Knie gegen die Tischkante. Aus der gusseisernen Kanne schwappte kalter Tee auf seine Notizen.
    »Teufel!«, fluchte er und versuchte hastig, die braunen Flecken auf dem Papier mit seinem Taschentuch wegzutupfen.
    Es klingelte zum vierten Mal. Es klang wie in den alten Schwarz-Weiß-Filmen, die er manchmal im Zita-Programmkino drüben in der City sah. Mechanisch und unzeitgemäß.
    Langsam drang die Bedeutung des Geräuschs in sein Bewusstsein. Sofort war er hellwach. Mit einem kräftigen Schubs rollte er seinen Drehstuhl zu der kleinen Klappe an der Wand. Ungeduldig riss er sich die Kette mit dem Schlüssel vom Hals, mit zittrigen Fingern stocherte er damit im Schlüsselloch herum. Endlich gab die Klappe quietschend nach. Putz bröckelte ihm entgegen.
    1888 war die Aussparung in der Wand verschlossen worden, erst er, der Fünfzehnte, durfte sie wieder öffnen, 10 4 Jahre hatten seine vierzehn Vorgänger vergeblich auf diesen Moment gewartet. Der Apparat, der nun zum Vorschein kam, ließ Birger Jacobsen stutzen. Mit einem Telefon– selbst mit einem antiken – hatte dieser Kasten wenig gemeinsam, doch offensichtlich funktionierte er. Mister Bell hatte ihn schließlich persönlich zusammengeschraubt, als Gegenleistung für die Hilfe bei einigen strittigen Patentfragen, wie ihm Anton Blomberg verraten hatte.
    Birger Jacobsen hob ab. Ein letztes Klingeln erstarb mitten im Ton. Er hielt sich den becherförmigen Hörer ans Ohr, jede Faser seines Körpers in Alarmbereitschaft, wie ein Panther vor dem Sprung. Seine Kollegen schätzten ihn, weil er mit beinahe grausamer Perfektion arbeitete. Noch nie war dieser Charakterzug so wichtig gewesen wie in diesem Augenblick.
    In der Leitung knackte es. Auf das, was nun kam, hatte ihn Blomberg nicht vorbereiten können.
    Der Apparat war in den 10 4 Jahren nie benutzt worden. Mit klopfendem Herzen lauschte er auf die Geräusche in der Muschel. Wieder knackte es. Dann Stille. Sekundenlang. Birger Jacobsen wurde nervös. Er glaubte, das Rauschen des Meeres zu hören, als sich das Gespräch den langen Weg durch das transatlantische Kabel bahnte, sich an den Daten von Internetprovidern vorbeischlängelte, an Nachrichten aus einer völlig anderen Zeit. Er spürte ein Gefühl in sich aufsteigen, das er vor Jahren abgelegt zu haben glaubte: Zweifel. Nagender Zweifel, jeden Grundsatz erschütternder Zweifel. War er der Aufgabe gewachsen? Würde er sich als würdig erweisen?
    Ein erneutes Knacken riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Die Stimme irgendwo am anderen Ende der Welt schmetterte los. Auch mechanisch, wie der Apparat, aber modern. Eine Computerstimme. Abgehackt diktierte sie fünf Buchstaben in den Hörer. Den Code.
    Es klickte in der Leitung. Das Rauschen des Meeres erstarb. Birger Jacobsen wusste, dass das Telefon von nun an stumm bleiben würde. Mit einem einzigen Ruck riss er das Kabel aus der Wand.
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