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Die Rueckkehr des Daemons

Die Rueckkehr des Daemons

Titel: Die Rueckkehr des Daemons
Autoren: Thilo P. Lassak
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hatte, eine ungeahnte Faszination auf ihn ausübte. Gerade jetzt, im Halbdunkel. Dichten und Trinken, Trinken und Dichten, das klang nach großen Abenteuern. Der krasse Gegensatz zu seinem eigenen, wohlbehüteten Leben. Musste man wahnsinnig sein, um Gedichte von solch überirdischer Schönheit auf Papier bringen zu können? Musste Thomas so leben, sich zwischen Huren und Verbrechern in verrauchten Bars von billigem Rotwein ernähren? Um seinen Lesern zu zeigen, was für entsetzliche Spießer sie waren? Sid selbst mochte keinen Alkohol und er hasste Zigaretten. Aber er spürte, wie das tragische Ende des Poeten ein Kribbeln in seinem Körper auslöste und ihn sein Werk mit ganz anderen Augen betrachten ließ.
    Er löschte das Licht und kuschelte sich tiefer in seine noch nachtwarme Bettdecke. Langsam gewann der Tag überhand, die Nacht verschwand, auch aus seinem Zimmer. Mit den unbarmherzigen Augen von Dylan Thomas sah er sich um. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Ein riesiges Zimmer mit zwei breiten Fenstern mit Blick auf den Central Park. Für das Honorar des Innenarchitekten hätte man einen Kleinwagen kaufen können. Teure Designermöbel, ein Plexiglasschreibtisch mit iBook und Scanner, ein gerahmtes Poster der New York Knicks – signiert natürlich– an der Wand. Eine Stereoanlage von Bang & Olufsen mit CD s von Britney Spears, Christina Aguilera, TLC , von P. Diddy und 5 0 Cent. Ein weißes Oberschichtenkid mit Musik aus dem Getto, ein Witz!
    Das Ergebnis war eindeutig. Dylan Thomas hätte ihn sicher als Spießer der übelsten Art verhöhnt. Oder ging er zu hart mit sich ins Gericht? Es war das Leben seiner Eltern – nichts, was er sich selbst ausgesucht hatte.
    Mit einem Seufzer wühlte sich Sid unter der Decke hervor und ging ans Fenster. Der feine Ziegenhaarteppich kitzelte zwischen seinen Zehen. Beiläufig schob er die Gardine zur Seite und starrte auf den Central Park. In seinem Kopf klangen einige besonders berührende Zeilen von Thomas’ Gedichten nach und hinterließen ein seltsames Gefühl von Melancholie.
    Mit den Schatten der Nacht hat die aufgehende Sonne auch das Verbrechen aus New Yorks grüner Lunge verjagt, dachte Sid. Die Wege und Grünflächen gehören wieder der Armee der Jogger, die mit iPod bewaffnet ihr Tagespensum an Bewegung herunterreißen. Bald schon werden sie wieder hinter ihren Bildschirmen sitzen und glauben, mit ein paar Mausklicks den Puls der Welt zu bestimmen. Für die meisten von ihnen ist das Natur: dreieinhalb Quadratkilometer Grün, umgeben von Beton und Stahlträgern.
    Gut hörte sich das an! Ob er auch Talent zum Dichter hatte? Er nahm sich fest vor, Mister Wallace nachher zu fragen. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.
    Sid ging in sein Badezimmer. Okay, das Leben in einem Luxusapartment hatte auch Vorteile. So hatte er morgens seine Ruhe und niemand bemerkte, dass er sich ab und zu rasierte. Vor anderen Leuten – auch seinen Eltern – wäre ihm das peinlich gewesen.
    Prüfend betrachtete er sich im Spiegel. Er sah einen dünnen, etwas zu blassen Jungen mit grauen Augen und schulterlangen, strohblonden Haaren. Er seufzte und stapfte unter die Dusche.
    Sid trödelte absichtlich. In aller Seelenruhe überprüfte er zum dritten Mal, ob sich all seine Hefte und Bücher im Rucksack befanden. Wieder war alles in Ordnung. Der Wecker zeigte 6 Uhr 47. Langsam zog er sich an, Jeans, ein langärmeliges gestreiftes T-Shirt und Turnschuhe. Sein Vater verließ für gewöhnlich um halb sieben das Apartment. Als Immobilienmakler hatte er es nicht umsonst bis ganz nach oben gebracht, wie er immer wieder gerne betonte. Ein sechzehnstündiger Arbeitstag war für ihn nichts Ungewöhnliches – was Sid sehr, sehr gut fand.
    6 Uhr 55, er konnte es wagen.
    Sid öffnete seine Zimmertür und horchte in den Flur. Er hörte die etwas schrille Stimme seiner Mutter, die vermutlich schon wieder mit ihrer besten Freundin Patricia telefonierte. Sie hatten gestern Abend den Tag am Telefon beendet, heute starteten sie damit. Sid fragte sich, was sich in der Zwischenzeit so Wichtiges ereignet haben konnte, dass sie am nächsten Morgen sofort wieder miteinander reden mussten.
    In der Küche klapperte Dolores, das Hausmädchen, mit Geschirr. Die Espressomaschine zischte. Sonst hörte er nichts. Die Luft war rein, sein Vater hatte das Apartment offensichtlich bereits verlassen. Am frühen Morgen war es nervenschonender, seinen Eltern nicht zu begegnen. Für beide Seiten. Zwar war er vor
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