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Bruchlandung

Bruchlandung

Titel: Bruchlandung
Autoren: Matthias P. Gibert
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    »… und deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie alle mitmachen bei der Umsetzung dieser Richtlinien. Sie sind sozusagen Botschafter einer …«
    Lenz hatte schon immer seine Schwierigkeiten gehabt mit solchen Floskeln absondernden Klugscheißern, die gerade aus irgendeinem Universitätshörsaal gestolpert waren und nun der Welt erklären wollten, wie man vorteilhafter zusammenarbeiten oder ein besserer Vorgesetzter werden könnte. Zwei Mal hatte er es geschafft, sich dem Seminar mit dem hochtrabenden Titel Der Vorgesetzte im Wandel der Zeit – besser führen mit neuen Managementmethoden zu entziehen, eine dritte Verweigerung war ihm nach deutlich mahnender Intervention seines Chefs nicht mehr möglich gewesen. So hatte er also diesen Tag über sich ergehen lassen und schon am Morgen, direkt nach der Begrüßung durch den jungen BWL-Absolventen im grauen Anzug und mit den abgelatschten Schuhen, damit begonnen, sich auf das nun bevorstehende Ende zu freuen. Dazwischen lagen ein paar schale, unsichere Witze des Referenten, einige Rollenspiele, bei denen er sich gedanklich völlig ausgeblendet hatte, und ein wenig Input, dessen Inhalt er sich schon vor zehn Jahren selbst angelesen hatte.
    »Daher danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen guten Heimweg.«
    Herr Heinlein verbeugte sich artig und löste mit seinem dabei vorgezeigten gequälten Lächeln bei dem Leiter der Kasseler Mordkommission den Verdacht aus, dass auch er sich darüber freute, diesem Tag der geistigen Erbauung ein halbwegs glückliches Ende bereitet zu haben.
    Lenz sah auf seine Armbanduhr und packte die Unterrichtsmaterialien zusammen, in die er, so die Bitte des Referenten, mindestens einmal im Monat einen Blick werfen sollte. Wenn alles normal laufen würde, wäre er rechtzeitig am Frankfurter Hauptbahnhof, um den Zug um 17:22 Uhr nach Kassel zu erreichen.
    Ziemlich genau zwei Stunden später fiel er in die weit ausgebreiteten Arme seiner Frau, die ihn am Bahnsteig erwartete.
    »Aber Maria, das wäre doch nicht nötig gewesen. Die paar Minuten zu Fuß hätte ich wirklich noch geschafft.«
    »Das glaube ich dir sogar«, hauchte sie ihm ins Ohr, »aber dann hätte ich ja noch länger auf dich warten müssen. Wie war es denn?« Lenz gab ihr einen kurzen Abriss seines Tages.
    »Und bevor ich noch einmal solch einen nassforschen Jungspund als Seminarleiter ertrage, lasse ich mich frühpensionieren.«
    Ihre eiskalte Hand schob sich in seinen Nacken, was er mit einem erschrockenen Zucken quittierte.
    »Tut mir leid, dass es so schlimm war. Aber jetzt ist Schluss mit dem Ärgern über den Typen, und du freust dich einfach, dass ich hier bin.«
    »Das mache ich.«
    Maria löste sich von ihm, drehte sich um und hakte sich unter.
    »Hast du Lust, ein bisschen spazieren zu gehen?«
    Lenz betrachtete zuerst seine Schuhe und dann seine Frau mit unverhohlener Skepsis.
    »Daran hab ich gedacht. Deine wasserdichten Wanderschuhe liegen im Kofferraum.«
    Der Polizist dachte kurz nach.
    »Dann ist das eine Idee, für die ich mich begeistern könnte. Allerdings nur, wenn wir im Anschluss unsere kalten Knochen gemeinsam in der Sauna oder der Badewanne aufwärmen.«
    Über das Gesicht der Frau huschte ein Grinsen.
    »Das machen wir, versprochen.«
    Auf dem Weg nach draußen ließ der Leiter der Kasseler Mordkommission genüsslich grinsend die Seminarunterlagen in einen der auf dem Bahnhof stehenden Edelstahlbehälter mit der blauen Aufschrift Papier gleiten, umarmte seine Frau ein wenig fester und begann, sich auf den weiteren Verlauf des nach würziger Luft riechenden Wintertages zu freuen.

    »Na, na, übertreibst du jetzt nicht ein wenig?«, fragte Maria ihren Mann mit übertrieben gerunzelter Stirn und nicht wirklich ernst gemeinter Skepsis.
    Lenz wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und streichelte seiner Frau sanft über den Bauch.
    »Ich weiß, dass du nur ein bisschen sticheln willst, du kleines Biest. Also lässt mich dein Einwand, ich könnte, was mein heutiges Seminar angeht, zur Übertreibung neigen, völlig kalt.«
    Sie hob den Kopf und fing an zu grinsen.
    »Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Aber ganz im Ernst, so schlimm, wie du ihn jetzt darstellst, kann der Tag doch gar nicht gewesen sein.«
    Der Kommissar fädelte wortlos seinen rechten Oberschenkel unter ihrem Kopf hindurch, den er vorsichtig auf der hölzernen Sitzbank ablegte, stand auf und goss ein wenig Wasser auf die Steine des Saunaofens. Sofort
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