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Scheinbar verliebt

Scheinbar verliebt

Titel: Scheinbar verliebt
Autoren: Jenny B Jones
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Freitag sind Sie natürlich immer noch herzlich eingeladen.“ Miss Piersons Augen flogen über die Wände von Lucys Büro. Die vielen Schwarz-weiß-Fotos der früheren und momentanen jungen Bewohnerinnen waren nicht direkt Kunst, aber für Lucy waren sie schöner als jeder Van Gogh.
    Morgen war das jährliche Ereignis, an dem sie eigentlich offiziell den Spendenscheck überreicht bekommen hätte. Es wäre die Sicherheit gewesen, dass Saving Grace noch mindestens ein weiteres Jahr hätte bestehen können. Mädchen hätten ihre Ausbildung bekommen. Wären aufs Arbeitsleben vorbereitet worden. Hätten ein Dach über dem Kopf gehabt. Doch jetzt wusste Lucy nicht einmal, wie sie den Winter überstehen sollten.
    Miss Pierson erhob sich elegant von dem knarrenden Holzstuhl. „Im Namen von Sinclair Hotels möchte ich mich bedanken, dass wir dank Ihnen unserer Gesellschaft einen Dienst erweisen konnten.“ Mit einem schlaffen Händeschütteln verabschiedete sich Miss Pierson, nahm ihre Handtasche und ging.
    Lucy legte den Kopf auf ihren Schreibtisch. „Warum ich?“ Es musste doch etwas geben, das sie tun konnte. Sie konnte nicht einfach hier sitzen und Saving Grace wegen einer einzigen Spende sterben lassen, so wichtig sie auch war. Herr, was soll ich tun? Ich brauche ganz dringend deine Hilfe.
    Sie ließ ihren Kopf wieder auf den Schreibtisch sinken und murmelte vor sich hin.
    „Ist das ein privater mentaler Zusammenbruch oder kann ich mitmachen?“
    Lucys blonde Locken sprangen auf und ab, als sie sich hektisch aufsetzte. „Hey.“ Ihre beste Freundin Morgan zu sehen, hätte ihr ein Trost sein sollen. Doch das junge Mädchen an Morgans Seite sagte Lucy, dass sie ihr Herz vorerst nicht würde ausschütten können.
    „Ich habe Marinell hier gerade noch erzählt, was du für eine vernünftige, zuverlässige Person bist.“ Morgan ließ sich in den Stuhl fallen, auf dem vor Kurzem noch Miss Pierson gesessen hatte und bot auch dem Mädchen einen Platz an. „Aber das natürlich erst, wenn du deine allmorgendliche Dosis Koffein intus hast.“
    Lucy konnte dem Blick ihrer lächelnden Freundin kaum standhalten. „Ich versuch’s heute mal mit ein bisschen Verrücktheit. Und bisher … gelingt es mir eigentlich ganz gut.“ Lucy wandte sich dem Mädchen zu, das sie an eine junge Selma Hayek erinnerte. „Hallo, Marinell. Ich bin froh, dass du dich dazu entschieden hast, dich mit mir zu treffen.“
    Als Sachbearbeiterin in der Pflegeeinrichtung hatte Morgan ihre Freundin Lucy mit allen wichtigen Details der Akte des Mädchens vertraut gemacht. Achtzehn Jahre alt. Hatte die letzten eineinhalb Jahre in vier verschiedenen Heimen verbracht und war aufgrund der schlechten Zustände im letzten Heim ausgerissen. Bereitete sich darauf vor, den Schulabschluss nachzuholen und war im Moment obdachlos.
    „Ich hab Miss Morgan versprochen, Ihnen zuzuhören, aber ich will hier nicht einziehen“, sagte Marinell. „Es geht mir da gut, wo ich bin.“
    „Und wo ist das noch gleich?“, fragte Lucy.
    „Bei einem Verwandten.“
    Den meisten Mädchen ging es so schlecht, dass sie nicht zu hoffen wagten, dass ihr Leben für sie noch etwas Gutes bereit hielt. Lucy wusste, dass Marinell in Charleston außer ihrer Mutter keine Familie hatte. Und der war das Sorgerecht schon lange entzogen worden. Ihr jüngerer Bruder war in einem Jungenheim untergebracht worden. „Ein Verwandter, ja?“
    Sie zuckte die Schultern „Ein Freund.“
    „Dann ist es wohl mein Job, dich davon zu überzeugen, dass du hierbleiben solltest.“ Was genau das Richtige wäre, wenn Saving Grace nicht kurz vor dem Aus stehen würde. „Morgan hat mit dir schon die Erwartungen durchgesprochen, richtig?“ Marinell starrte sie nur an. „Wir sind eine Organisation, die auf dem christlichen Glauben basiert. Du müsstest einfach nur zur Schule gehen und bereit sein, hart zu arbeiten und unsere Regeln zu befolgen.“ Es gab auch Ausgehverbote, Bibelstudien, Sozialkundeunterricht und Aufgaben, die die Mädchen im Haus zu übernehmen hatten. Lucy und die beiden anderen Erwachsenen, von denen immer mindestens einer im Haus war, sorgten dafür, dass alle Regeln eingehalten wurden.
    Sie und Morgan arbeiteten eng zusammen. Als Sozialarbeiterin für das Land hatte Morgan viele Kontakte zu Mädchen, die durch das Heimsystem fielen. Wenn sie die Schule beendet hatten und achtzehn waren, sah der Staat sie als Erwachsene an. Saving Grace bot denen ein Dach über dem Kopf, die keinen Ort
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