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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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Beutel?
    Der improvisierte Gang schien sich meilenweit vor mir zu erstrecken, ein gähnender Tunnel in die Dunkelheit hinein. Es war die Perspektive – die beiden mit Vorhängen markierten Seitenwände, die aufeinander zu zu laufen schienen, als würde der Raum nach hinten schmaler. Eine interessante Illusion, vor allem für einen Thriller. Das musste ich mir merken.
    Sobald ich den Gang als eine Filmkulisse zu betrachten begann, wurde ich ruhiger. Ich gab der Szene einen Kamerarahmen und verlieh ihr durch den Rhythmus meiner Schritte eine ruckelige Bewegung, die sie unmittelbarer wirken ließ und die Zuschauer in den Kopf der handelnden Person versetzte: ein unvorsichtiges Mädchen, das auf die Quelle des seltsamen Geräuschs zuging.
    Ein dumpfer Aufschlag. Ich fuhr zusammen, und meine Schuhe quietschten. Und
das
Geräusch ließ mich erst recht erschaudern. Ich rieb mir die Gänsehaut auf den Armen und versuchte zu lachen. Okay, ich hatte schließlich ein
seltsames Geräusch
haben wollen, oder? Toneffekte einspielen, bitte.
    Wieder ein Laut. Ein Rascheln. Es gab also Ratten in meinem unheimlichen Gang, richtig? Was für ein Klischee. Es wurde Zeit, meine galoppierende Einbildungskraft unter Kontrolle zu bekommen und mich zu konzentrieren. Regie zu führen.
    Unsere Protagonistin sieht etwas am Ende des Gangs. Eine schattenhafte Gestalt …
    Also bitte. Geht’s noch ein bisschen abgedroschener? Mach es origineller, geheimnisvoll.
    Zweiter Take.
    Was ist es, das sie da sieht? Den Lunchbeutel eines Kindes, leuchtend gelb und neu, fehl am Platz in dem alten, zum Abbruch bestimmten Haus.
    Lass die Kamera weiterlaufen. Lass die Gedanken nicht abschweifen …
    Ein Schluchzen hallte durch die leeren Räume, brach ab und wurde zu einem nassen Schniefen.
    Weinen. Okay. In meinem Film. Die Protagonistin sieht den Lunchbeutel eines Kindes und hört gespenstische Schluchzer. Etwas bewegt sich am Ende des Gangs. Eine dunkle Gestalt …
    Panisch stürzte ich zu meinem Beutel, packte ihn und jagte davon.

3
    C hloe! Moment!«
    Ich hatte mein unberührtes Mittagessen im Schließfach verstaut und wollte gerade wieder gehen, als Nate hinter mir herrief. Als ich mich umdrehte, schob er sich mit der Schulter voran durch eine Gruppe von Mädchen. Die Klingel schellte, und der Gang explodierte. Die Schüler drängten und wimmelten wie Lachse, die sich stromaufwärts kämpfen, und rissen alles mit sich, das sich ihnen in den Weg stellte; Nate hatte Mühe, sich zu mir durchzuarbeiten.
    »Du bist aus dem Filmclub verschwunden, bevor ich dich erwischt habe. Ich wollte fragen, ob du zu dieser Party gehst.«
    »Morgen? Äh, yeah.«
    Ein aufblitzendes Grübchengrinsen. »Na prima. Bis dann.«
    Ein Schwarm von Schülern spülte ihn mit sich fort. Ich stand da und starrte hinter ihm her. Hatte Nate mich gerade eben eigens aufgespürt, um mich zu fragen, ob ich zu der Party gehen würde? Es war nicht das Gleiche, als wenn er mich gefragt hätte, ob ich
mit ihm
hingehen würde, aber nichtsdestotrotz … ich würde mir noch mal ganz genau überlegen müssen, was ich anziehen sollte.
    Ein älterer Schüler rammte mich, schlug mir den Rucksack von der Schulter und murmelte etwas von »mitten im Gang rumstehen«. Als ich mich bückte, um den Rucksack aufzuheben, spürte ich einen Nässeschwall zwischen meinen Beinen.
    Ich fuhr hoch und stand einen Moment lang wie erstarrt da, bevor ich einen vorsichtigen Schritt wagte.
    O Gott. Ich hatte mir doch wohl nicht in die Hose gemacht? Ich holte tief Luft. Vielleicht war ich wirklich krank. Mein Magen hatte schon den ganzen Tag Ärger gemacht.
    Probier’s halt, sauber zu machen, und wenn es zu übel ist, nimm ein Taxi nach Hause.
    Im Mädchenklo zog ich den Slip nach unten und sah leuchtendes Rot.
    Ein paar Minuten lang saß ich einfach auf dem Klositz, grinste wie ein Idiot und hoffte, dass das Gerücht über Kameras auf Schultoiletten nicht stimmte.
    Dann legte ich mir zusammengefaltetes Klopapier in den Slip, zog die Jeans hoch und watschelte aus der Kabine. Und da war er, ein Anblick, der mir seit dem Herbst vorgekommen war wie blanker Hohn: der Bindenautomat.
    Ich schob die Hand in die hintere Hosentasche und fand einen Fünfdollarschein, einen Zehner und zwei Ein-Cent-Stücke. Zurück in die Kabine. Rucksack durchwühlen. Ich fand eine Fünf-Cent-Münze. Na toll.
    Ich beäugte das Gerät. Trat näher heran. Begutachtete das zerkratzte Schloss, von dem Beth sagte, dass man es mit einem langen
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