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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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dem Typ, der anderswo gehänselt werden würde.
    Es stimmt schon, in dieser Hinsicht ist die A. R. Gurney High gar nicht so übel, aber wenn man Schüler zusammensperrt, ganz egal, wie ähnlich sie sich zu sein scheinen, dann werden Grenzen abgesteckt, und Cliquen bilden sich. Statt der Sportler und der Streber und der Außenseiter kriegt man hier eben die Künstler und die Musiker und die Schauspieler.
    Ich war für die darstellenden Künste eingeschrieben und wurde somit in den gleichen Topf geworfen wie die Schauspieler, bei denen es weniger auf Talent als auf Aussehen, Selbstsicherheit und Wortgewandtheit anzukommen schien. Ich war nicht gerade der Typ, nach dem sich alle umdrehten, und in puncto Selbstsicherheit und Wortgewandtheit war ich eine komplette Null. Auf der Zehn-Punkte-Beliebtheitsskala hätte ich eine Fünf eingefahren. Absoluter Durchschnitt. Die Sorte Mädchen, über die sich niemand viele Gedanken macht.
    Aber ich hatte immer davon geträumt, auf eine Schule mit einem Kunstzug zu gehen, und es war wirklich so cool, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Besser noch, mein Vater hatte mir versprochen, dass ich bis zum Abschluss hier bleiben konnte, ganz gleich, wie oft wir bis dahin noch umzogen. Das bedeutete, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht die Neue war. Ich hatte an der A. R. Gurney als Freshman in der neunten Klasse angefangen. Wie alle anderen hier. Wie ein ganz normales Mädchen. Endlich.
    Aber an diesem Tag kam ich mir nicht normal vor. Ich verbrachte den Vormittag damit, an den Jungen auf der Straße zu denken. Es gab jede Menge logische Erklärungen. Ich hatte seine Lunchbox angestarrt und wahrscheinlich einfach nicht gesehen, wohin er wirklich gelaufen war. Er war wahrscheinlich in ein Auto gestiegen, das am Straßenrand wartete. Oder im letzten Moment abgebogen und in der Menge verschwunden. Das war vollkommen plausibel. Warum also machte es mir immer noch zu schaffen?
     
    »Oh, komm schon«, sagte Miranda, als ich in der Mittagspause in meinem Schließfach herumwühlte. »Er steht da drüben. Frag ihn, ob er tanzen geht. So schwer ist das ja wohl nicht.«
    »Lass sie in Frieden«, sagte Beth. Sie griff über meine Schulter, holte den leuchtend gelben Beutel mit meiner Lunchbox vom obersten Brett und ließ ihn vor mir baumeln. »Ich weiß nicht, wie du den übersehen kannst, Chloe. Praktisch neonfarbig.«
    »Sie bräuchte eine Leiter, um da raufsehen zu können«, sagte Kari.
    Ich rammte sie mit der Hüfte, und sie sprang lachend zur Seite.
    Beth verdrehte die Augen. »Kommt schon, Leute, wir kriegen keinen Tisch mehr.«
    Wir schafften es bis zu Brents Schließfach, bevor Miranda mich mit dem Ellbogen anstieß. »Frag ihn, Chloe.«
    Sie sagte es in einem Bühnenflüstern, das kaum zu überhören war. Auch nicht für Brent. Er sah zu uns herüber … und dann hastig fort. Ich merkte, dass mein Gesicht heiß wurde, und drückte die Lunchbox fester an mich.
    Karis langes dunkles Haar streifte meine Schulter. »Er ist ein Trottel«, flüsterte sie. »Ignorier ihn einfach.«
    »Nein, er ist kein Trottel. Er mag mich einfach nicht. Dafür kann er nichts.«
    »Okay«, sagte Miranda. »Ich frag ihn für dich.«
    »Nein!« Ich packte sie am Arm. »B-bitte.«
    Ihr rundes Gesicht verzog sich angewidert. »Herrgott, du bist manchmal ein richtiges Baby. Du bist fünfzehn, Chloe. Du musst die Dinge selbst in die Hand nehmen.«
    »Zum Beispiel so lange bei einem Typ anrufen, bis seine Mutter sagt, du sollst ihn in Frieden lassen?«, fragte Kari.
    Miranda zuckte nur die Achseln. »Das war Robs Mutter.
Er
hat so was nie gesagt.«
    »Ach? Ja, red dir das nur weiter ein.«
    Jetzt fingen sie wirklich an zu streiten. Normalerweise hätte ich mich eingemischt und gesagt, sie sollten aufhören, aber ich war immer noch sauer, weil Miranda mich vor Brent blamiert hatte.
    Kari, Beth und ich hatten ständig über Jungen geredet, aber wir waren nicht vollkommen von ihnen besessen. Miranda war es, sie hatte schon mehr Freunde gehabt, als sie aufzählen konnte. Als sie anfing, mit uns herumzuhängen, wurde es plötzlich wichtig, einen Typen zu haben, an dem einem wirklich etwas lag. Ich machte mir sowieso schon genug Gedanken darüber, zu unreif zu sein, und da hatte es nicht gerade geholfen, dass sie laut losgelacht hatte, als ich zugab, noch nie ein richtiges Date gehabt zu haben. Also hatte ich einfach einen Schwarm erfunden. Brent.
    Ich hatte gedacht, ich könnte einfach irgendeinen Typ nennen,
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