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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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den ich mochte, und das würde reichen. Von wegen. Miranda hatte mich geoutet – hatte ihm erzählt, dass ich ihn mochte. Ich war entsetzt gewesen. Na ja, überwiegend entsetzt. Ein kleiner Teil von mir hatte gehofft, er würde sagen: »Cool. Ich mag Chloe auch.« Schon wieder von wegen. Vorher hatten wir uns im Spanischunterricht manchmal unterhalten. Jetzt saß er zwei Reihen entfernt, als hätte ich plötzlich üblen Körpergeruch entwickelt.
    Wir hatten gerade den Eingang der Schulkantine erreicht, als jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um und sah Nate Bozian auf mich zutraben. Sein rotes Haar stach aus der Menschenmenge im Gang heraus wie ein Leuchtfeuer. Er rammte einen älteren Schüler, entschuldigte sich grinsend und lief weiter.
    »Hey«, sagte ich, als er in Hörweite war.
    »Selber hey. Hast du vergessen, dass Petrie den Filmclub diese Woche in die Mittagspause verlegt hat? Wir reden über Avantgarde. Ich weiß doch, dass du Arthouse-Filme liebst.«
    Ich tat so, als müsste ich mich übergeben.
    »Okay, ich richt’s aus. Und ich sage Petrie auch gleich, dass du nicht dran interessiert bist, die Regie bei diesem Kurzfilm zu machen.«
    »Das wird heute entschieden?«
    Nate setzte sich rückwärts wieder in Bewegung. »Vielleicht. Vielleicht nicht. Ich sage Petrie …«
    »Ich muss los«, rief ich meinen Freundinnen zu und stürzte ihm nach.
     
    Das Filmclub-Treffen begann wie üblich im Nebenraum hinter der Bühne, wo wir Organisationsfragen besprachen und aßen. Im Vorführraum war das Essen nicht erlaubt.
    Wir redeten über den Kurzfilm, und ich stand wirklich auf der Liste möglicher Regisseure – die Einzige aus der Neunten, die es geschafft hatte. Danach sahen alle anderen sich Szenen aus Aventgarde-Filmen an, während ich bereits über die Möglichkeiten für einen Bewerbungsfilm nachdachte. Ich schlich mich davon, bevor die Vorführung vorbei war, und ging zurück zu meinem Schließfach.
    Mein Hirn ratterte währenddessen weiter. Dann plötzlich knurrte mein Magen, was mich daran erinnerte, dass ich vor lauter Aufregung über meinen Platz auf der Auswahlliste das Essen vergessen hatte.
    Und jetzt hatte ich meine Lunchbox im Besprechungszimmer liegen lassen. Ein Blick auf die Uhr: noch zehn Minuten bis zur nächsten Unterrichtsstunde. Es war zu schaffen.
     
    Das Filmclub-Treffen war zu Ende, und der Letzte, der gegangen war, hatte das Licht ausgeschaltet. Ich hatte keine Ahnung, wo ich es wieder hätte einschalten können. Und um den Lichtschalter zu finden, hätte ich ja was
sehen
müssen. Im Dunkeln leuchtende Lichtschalter, damit würde ich meinen ersten Film finanzieren. Natürlich würde ich zuerst jemanden finden müssen, der die Dinger herstellte. Wie die meisten Regisseure war ich beim Ideenhaben besser als bei ihrer Ausführung.
    Ich tastete mich zwischen den Sitzreihen hindurch und rammte mir zweimal das Knie. Irgendwann hatten sich meine Augen an die trübe Notbeleuchtung gewöhnt, und ich fand die Treppe, die hinter die Bühne führte. Jetzt wurde es schwieriger.
    Der Bereich hinter der Bühne war in kleinere, mit Vorhängen voneinander getrennte Abschnitte aufgeteilt, die als Lagerräume und improvisierte Garderoben dienten. Natürlich gab es hier eine Beleuchtung, aber die hatte bisher immer jemand anderes eingeschaltet. Nachdem ich die vordere Wand abgetastet hatte, ohne einen Schalter zu finden, gab ich es auf. Die matte Notbeleuchtung ließ mich die Umrisse erkennen – gut genug.
    Es war trotzdem ziemlich dunkel. Ich habe Angst vor der Dunkelheit. Als Kind habe ich ein paar ziemlich üble Erfahrungen gemacht, erfundene Freunde, die an dunklen Orten lauerten und mich erschreckten und so. Ich weiß, dass sich das leicht abgedreht anhört. Andere Kinder erfinden Spielgefährten, ich stellte mir irgendwelche Schreckgespenster vor.
    Der Geruch nach Theaterschminke verriet mir, dass ich in der Garderobe stand, aber das Aroma – vermischt mit dem unverwechselbaren Geruch von Mottenkugeln und alten Kostümen – beruhigte mich heute weniger, als es das normalerweise tat.
    Noch drei Schritte, und ich stieß einen Schrei aus, als plötzlich Stoff rings um mich wogte. Ich war gegen einen Vorhang gestolpert. Toll! Wie laut hatte ich geschrien? Ich hoffte, dass die Wände schallgedämpft waren.
    Mit der Hand strich ich über das kratzige Polyester, bis ich die Öffnung gefunden hatte, und teilte den Vorhang. Weiter vorn erkannte ich den Esstisch, auf dem etwas Gelbes lag. Mein
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