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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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Explosionen. Ein richtiger Shoot’em-down-Film.«
    Ich hätte Milos’ Englisch viel lieber unverbessert gelassen, aber er bestand darauf, dass ich ihn korrigierte. »Du meinst ein Shoot’em-up-Film.«
    Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. »Wenn man einen Mann erschießt, in welche Richtung fällt er dann? Aufwärts?«
    Ich lachte, und ein paar Minuten lang redeten wir über Filme, mein Lieblingsthema.
    Während Milos einen Anruf auf seiner Sprechanlage entgegennahm, sah ich zum Fenster hinaus. Plötzlich kam ein langhaariger Junge hinter einer Gruppe von Geschäftsleuten hervorgeschossen. Er hatte eine altmodische Lunchbox dabei, Plastik mit irgendeinem Superhelden darauf. Ich war so sehr damit beschäftigt, den Superhelden zu identifizieren, dass ich nicht weiter darauf achtete, in welche Richtung der Junge lief, bis er mit einem Satz auf die Straße hinausstürzte und zwischen unserem Taxi und dem Auto vor uns landete.
    »Milos!«, kreischte ich. »Pass …«
    Das letzte Wort wurde mir geradezu aus der Kehle gerissen, als ich gegen den Gurt krachte. Der Fahrer hinter uns und der Fahrer hinter
ihm
drückten auf die Hupe. Eine Kettenreaktion des Protests.
    »Was?«, fragte Milos. »Chloe? Was ist los?«
    Ich sah über die Motorhaube hinweg und entdeckte … nichts. Bloß eine leere Fahrspur vor uns und Autos, die nach links geschwenkt waren, um uns zu überholen. Die Fahrer zeigten Milos den Mittelfinger, als sie vorbeifuhren.
    »D-d-d-« Ich ballte die Fäuste, als ob ich die Worte auf diese Weise herauszwingen könnte.
Wenn du irgendwo feststeckst, nimm eine andere Strecke
, sagte meine Sprachtherapeutin immer. »Ich habe gedacht, ich hätte was ge-ge-ge …«
    Rede langsam. Leg dir die Worte vorher zurecht.
    »Es tut mir leid. Ich habe gedacht, ich hätte gesehen, wie jemand vors Auto rennt.«
    Milos ließ sein Taxi wieder anrollen. »Das passiert mir auch manchmal, vor allem wenn ich den Kopf drehe. Ich glaube, ich sehe jemanden, aber dann ist niemand da.«
    Ich nickte. Die Magenschmerzen meldeten sich gerade zurück.

2
    N ach dem Traum, an den ich mich nicht erinnern konnte, und dem Jungen, den ich nicht gesehen haben konnte, war ich etwas verstört. Wenn ich nicht wenigstens
eine
Frage aus meinem Kopf bekam, würde ich mich unmöglich auf meine Spanischprüfung konzentrieren können. Also rief ich Tante Lauren an. Ich erreichte ihre Voicemail und hinterließ ihr die Nachricht, dass ich in der Mittagspause wieder anrufen würde. Als ich auf dem Weg zum Schließfach meiner Freundin Kari war, rief meine Tante zurück.
    »Hab ich jemals in einem Haus mit einem Keller gewohnt?«, fragte ich.
    »Dir auch einen guten Morgen.«
    »Tut mir leid. Ich hab diesen Traum gehabt, und der nervt mich jetzt.« Ich erzählte ihr das Wenige, an das ich mich noch erinnern konnte.
    »Ah, das muss das alte Haus in Allenham gewesen sein. Du warst noch richtig klein damals, es wundert mich nicht, dass du dich nicht erinnerst.«
    »Danke. Es war …«
    »Das hängt dir ganz schön nach, oder? Das muss ja ein Hammer von einem Alptraum gewesen sein.«
    »Irgendwas mit einem Ungeheuer, das im Keller wohnt. Klischierter geht’s nicht mehr. Es ist mir richtig peinlich.«
    »Ungeheuer? Was …«
    Die Lautsprecheranlage an ihrem Ende schnitt ihr das Wort ab, und eine blecherne Stimme sagte: »Dr. Fellows bitte auf Station 3B.«
    »Das klingt nach deinem Stichwort«, sagte ich.
    »Das kann warten. Ist alles in Ordnung, Chloe? Du hörst dich ein bisschen durcheinander an.«
    »Nein, es ist bloß … irgendwie spielt meine Fantasie heute verrückt. Ich hab Milos heute Morgen schon einen Schreck eingejagt, weil ich gedacht habe, ich sehe einen Jungen vors Taxi rennen.«
    »Was?«
    »War keiner da. Jedenfalls nicht außerhalb von meinem Kopf.« Ich sah Kari an ihrem Schließfach stehen und winkte. »Es klingelt gleich, also …«
    »Ich hol dich nach der Schule ab. Tee im Crowne. Dann reden wir.«
    Die Verbindung war weg, bevor ich widersprechen konnte. Ich schüttelte den Kopf und rannte hinter Kari her.
     
    Schule. Viel gibt es darüber nicht zu sagen. Die Leute denken, im Kunstzug müsste es irgendwie anders sein – diese ganze kreative Energie, die da vor sich hin brodelt, Klassenzimmer mit lauter glücklichen Schülern, sogar die Emos sind so glücklich, wie ihre gequälten Seelen es eben zulassen. Sie glauben, in Kunstklassen gäbe es weniger Schikane und weniger Konkurrenz. Schließlich gehören die meisten Schüler hier zu
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