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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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über ihrem Kopf. Mommy? Schon wieder zu Hause?
    »Jetzt komm schon, Chloe. Du hast doch wohl keine Angst im Dunkeln, oder?« Emily lachte. »Wahrscheinlich bist du doch noch ein Baby.«
    Chloe verzog finster das Gesicht. Emily hatte keine Ahnung. Sie war einfach bloß ein dummes, gemeines Mädchen. Chloe würde ihr eine Cola holen und dann ins Erdgeschoss hinaufrennen und Mommy alles erzählen. Und dann würde Emily nie wieder auf sie aufpassen dürfen.
    Sie beugte sich in den winzigen Raum hinein und versuchte sich zu erinnern, wo Mommy die Cola aufbewahrte. Da stand sie doch, dort auf dem Regal, oder? Chloe rannte hin und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ihre Finger schlossen sich um eine kühle Dose.
    »Chloe? Chloe!« Es war Emilys Stimme, aber sie klang weit entfernt und schrill. Schritte donnerten auf dem Fußboden über ihrem Kopf. »Chloe, wo bist du?«
    Chloe ließ die Dose fallen. Sie landete mit einem lauten Schlag auf dem Betonboden, platzte und rollte Chloe zischend und spuckend gegen den Fuß. Cola sammelte sich in einer Pfütze rings um ihre Hausschuhe.
    »Chloe, Chloe, wo bist du?«, fragte eine Stimme hinter ihr. Die Stimme klang fast wie Emilys Stimme, aber nur fast.
    Chloe drehte sich langsam um.
    In der Tür stand eine alte Frau in einem rosa Hausmantel, ihre Augen und Zähne glitzerten in der Dunkelheit. Mrs. Hobb. Chloe hätte gern die Augen zugekniffen, aber sie wagte es nicht, denn das machte Mrs. Hobb nur verrückter und alles noch schlimmer.
    Mrs. Hobbs Haut begann sich zu kräuseln und aufzufalten. Dann wurde sie schwarz und glänzend und prasselte wie Zweige in einem Lagerfeuer. Große Fetzen begannen abzufallen und landeten auf dem Fußboden. Ihr Haar zischte und brannte. Und dann war nichts mehr übrig als ein Schädel mit einzelnen Resten von verkohltem Fleisch. Die Kiefer öffneten sich, die Zähne glitzerten immer noch.
    »Willkommen zurück, Chloe.«

1
    I ch fuhr im Bett hoch, eine Hand um meinen Anhänger geklammert, die andere ins Laken gekrallt, und versuchte, Fetzen des Traums, der bereits zu zerfließen begann, noch zu erwischen. Irgendwas mit einem Keller … einem kleinen Mädchen … mir? Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals einen Keller gehabt hätten. Wir hatten immer in Appartementhäusern gewohnt.
    Ein kleines Mädchen in einem Keller, irgendwas Beängstigendes … waren Keller nicht immer beängstigend? Ich schauderte bei dem bloßen Gedanken an sie, dunkel und feucht und leer. Aber dieser war nicht leer gewesen. Da war etwas gewesen … ich konnte mich nicht erinnern was. Ein Mann hinter einem Ofen?
    Ein kräftiges Klopfen an meine Tür ließ mich zusammenfahren.
    »Chloe!«, kreischte Annette. »Wieso hat dein Wecker nicht geklingelt? Ich bin Haushälterin hier, nicht dein Kindermädchen. Wenn du dich wieder verspätest, ruf ich deinen Vater an.«
    Auf der Skala gängiger Drohungen war das nichts, das mir Alpträume verursacht hätte. Selbst wenn Annette meinen Dad in Berlin wirklich erwischen sollte, würde er so tun, als hörte er zu, den Blick auf sein Blackberry gerichtet, die Aufmerksamkeit voll und ganz von etwas Wichtigerem in Anspruch genommen – der Wettervorhersage zum Beispiel. Er würde etwas à la »Ich kümmere mich drum, sobald ich zurück bin« murmeln und mich vergessen haben, sobald er die Auflegtaste drückte.
    Ich schaltete das Radio ein, drehte die Lautstärke hoch und kroch aus dem Bett.
     
    Eine halbe Stunde später war ich im Bad und machte mich für die Schule fertig.
    Ich zog mein Haar seitlich mit Spangen nach hinten, warf einen Blick in den Spiegel und schauderte. Mit dieser Frisur sah ich aus wie zwölf. Und das war nichts, bei dem ich noch zusätzliche Unterstützung gebraucht hätte. Ich war gerade fünfzehn geworden, und im Restaurant brachten mir die Kellner immer noch die Kinderkarte. Ich konnte es ihnen nicht mal übelnehmen. Ich war eins dreiundfünfzig groß, und Kurven sah man nur, wenn ich enge Jeans und ein noch engeres T-Shirt trug.
    Tante Lauren schwor Stein und Bein, dass ich in die Höhe – und in die Breite – gehen würde, wenn ich endlich meine Periode bekam. Ich neigte inzwischen zu der Ansicht, dass dies weniger ein Fall von »wenn« als von »falls« war. Die meisten meiner Freundinnen hatten sie mit zwölf, wenn nicht mit elf Jahren bekommen. Ich versuchte, nicht allzu viel darüber nachzudenken, aber natürlich tat ich es. Ich machte mir Sorgen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Wenn
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