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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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gelangweilt aus dem Fenster.
    Herr Kawami ist so ein Otaku. Er liebt Anime und hat an sich nichts gegen die Bezeichnung Anime-Otaku, wie ja auch eingefleischte Computerfans sich selbstironisch als Nerds bezeichnen. Noch lieber sieht er sich als Maniakku, also Maniac oder fanatischer Fan. Das klingt im Japanischen harmloser als der Name Otaku, bei dem viele Japaner immer noch eine Gänsehaut bekommen. Das haben sie Miyazaki Tsutomu zu verdanken, der Ende der Achtzigerjahre in der Präfektur Saitama vier kleine Mädchen ermordete und ihre Familien zudem noch bitterlich verhöhnte. Miyasaki hatte sich in einer Welt aus Zeichentrickfilmen und Gewaltspielen verloren, die Presse verlieh ihm den Spitznamen Otaku-Mörder und stilisierte ihn zur Symbolfigur hochgradig gefährlicher Einzelgänger. Die Öffentlichkeit begegnete auf Jahre auch dem harmlosesten Anime- und Computerfreak mit Misstrauen. Für die stillen Liebhaber der gezeichneten Fantasiewelten begann ein Teufelskreis aus Verachtung und selbst gewählter Isolation. Einige wenige endeten als sogenannte Hikikomori: Menschen, die sich in ihre alten Kinderzimmer zurückziehen, nur des Nachts zur Nahrungsaufnahme in die Küche schleichen und radikal jegliche sozialen Kontakte abbrechen. Immerhin hat man mittlerweile erkannt, dass sie keine Spinnerten sind, und betreut betroffene Familien mit Sorgfalt. Das Gros der arglosen Otakus bemüht sich heute tapfer, der Öffentlichkeit sein freundliches, wenn auch extrem schüchternes Gesicht zu zeigen.
    So auch der nette Herr Kawami. Er ist Anfang dreißig, von Beruf Manager eines Manga-Cafés und ehrenamtliches Mitglied im Akihabara-Bezirks-komitee. Das Komitee ist verantwortlich für gute Nachbarschaftsbeziehungen und ein sauberes Image des Viertels. Trotz seiner vielen Kontakte hatte er noch nie in seinem Leben eine Freundin. „Natürlich möchte ich auch mal so richtig verliebt sein“, lächelt er zaghaft. „Oft sehe ich Frauen, die mir gefallen. Dann stelle ich mir vor, wie sie mich ansprechen.“ Er selbst würde es nie übers Herz bringen, den ersten Schritt zu machen. Dabei ist Herr Kawami ein sympathischer Kerl. So ein Typ rundlicher Teddybär, an den man sich gut ankuscheln könnte, der aber auch furchtbar unauffällig wirkt und die Damenwelt kaum zur Offensive hinreißt. Um von diesem leidigen Thema abzulenken, zeigt Herr Kawami uns seine Schätze. Die verwahrt er sorgfältig in einem Schrank in seiner klitzekleinen Wohnung mitten im geliebten Akiba. Es sind überlebensgroße Werbepappfiguren seiner Lieblings-Mangamädchen. „Die habe ich vom Trödelmarkt und trotzdem hat mich jede Figur rund 50 000 Yen (etwa 400 Euro) gekostet.“ Auf der Rückseite sind die Pappmädels schon arg geflickt, vorsichtig legt Herr Kawami sie aufs Bett und sich gleich dazu. Auf die Frage, wie viel er denn schon in sein Hobby investiert habe, meint er nach einem prüfenden Blick durch seine vollgestopfte Wohnung: „Na, so zwei Neuwagen hätte ich mir von dem Geld wohl schon leisten können.“ Ob er das alles für eine Frau aufgeben würde?, frage ich ihn. Treuherzig schaut er mich an und murmelt eine unbestimmte Antwort. Wohl nicht, denke ich.
    Immerhin hofft Herr Kawami noch auf seine Traumfrau. Nicht so wie Herr Shibata, der ein Hentai-Otaku ist. Er sammelt Love Dolls, und das ist, wie man es auch betrachtet, hentai, nun ja, ein wenig pervers. Love Doll hört sich zwar netter an als Sexpuppe, täuscht aber nicht über gewisse Qualitäten der lebensgroßen Figuren hinweg. Was ich aber mit dem 48-jährigen Physiker gar nicht so genau erörtern will. „Frauen enttäuschen dich. Sie betrügen dich und nutzen dich aus. Meine Frauen aber sind nur für mich da.“ Und so teilt er sich sein Apartment mit einem Dutzend adrett gekleideter Silikondamen, setzt sie im Turnus an den Esstisch und genießt in ihrer Gesellschaft seine Mahlzeiten.
    Herr Kawami möchte lieber mit einer richtigen Frau Tisch und Bett teilen und so streift er weiterhin durch die Gassen von Akihabara. Männer wie er mit weißen Turnschuhen, taillenbetonter Jeans und wohlmöglich noch einem Rucksack mit viel zu kurzen Trägerriemen prägen hier das Straßenbild. Halten sie auch ständig intensiven Blickkontakt mit dem Asphalt, stoßen einige von ihnen bei Frauen tatsächlich auf Interesse. Diesen Umschwung haben die Eigenbrötler einem Buch zu verdanken. Durch die Erzählung „Densha Otoko“ 2 (2004) von Nakano Hitori war Akihabara plötzlich auch für Frauen jenseits
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