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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Vorwort
    Die spannendsten Geschichten schreibt der Alltag – und das gilt für den japanischen Alltag natürlich ganz genauso. Manchmal ist der glitzernd bunt, wenn die Hausfrau ihren Lieblingsstar im Revuetheater bewundert oder der Manga-Fan für einen Nachmittag in seiner Traumwelt verschwindet. Ein andermal dagegen knallhart, wenn ein junger Obdachloser seine Nächte im Fast-Food-Restaurant bei einer Tasse Kaffee verbringen muss. Da sorgt sich das in die Jahre gekommene Perlenmädchen um ihre Altersvorsorge und sattelt mit über siebzig Jahren noch mal um. Der Firmenangestellte in den besten Jahren möchte am liebsten aussteigen, doch die Zukunft seiner Kinder hält ihn im Hamsterrad des Alltags. Ein junger Sumo-Ringer träumt von der ganz großen Sportlerkarriere und das Schulmädchen von nebenan bessert sein Taschengeld mit Herrenbesuch im Love Hotel auf.
    Neben sehr persönlichen Erzählungen über den Alltag ganz gewöhnlicher Japaner handeln andere Geschichten dieses Buches generell von Japan. Wie leben die Leute mit der ständigen Bedrohung durch Erdbeben? Warum wohnen Obdachlose in Zeltkommunen im Park, und sind Japaner wirklich ein homogenes Volk? Ein Blick auf die Vielfalt der Religionen, der einzigartigen Sprache, dem regionalen Reichtum sowie ein bunter Abriss der Jahresfeste runden den neugierigen Blick auf den japanischen Alltag ab.
    Wer nach der Lektüre feststellt, dass Japan weit mehr als schöne Tempel, Sushi und Geisha-Damen zu bieten hat, dem sei vor seiner nächsten Reise die im Anhang verzeichneten Top Ten des guten Tons ans Herz gelegt. Die berühmten Fettnäpfchen wären damit erst einmal unter Kontrolle, denn welcher Gast blamiert sich schon gerne?
    Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Schreibweise japanischer Bezeichnungen: Die lateinische Umschrift folgt der Schreibweise der international anerkannten Hepburn-Systems. Deshalb schreibe ich Tokyo anstelle von Tokio und Kyoto für das in Deutschland manchmal noch gebräuchliche Kioto. Allerdings habe ich zugunsten der Lesefreundlichkeit auf die Verlängerungsstriche über den Vokalen verzichtet.
    Christine Liew,
    Südliche Weinstraße im Sommer 2010

Sexy Salariman
    Die Türen öffnen sich und der Tumult beginnt. Ich schiebe und schubse, nuschele Entschuldigungen und kenne doch nur ein Ziel: Ich muss da noch rein! Hier hängt noch eine Schulter draußen, dort will partout die Tasche nicht mit. Weiß behandschuhte Hände packen mich und helfen sanft nach. Das Signal ertönt, die Türen schließen und die Bahn setzt sich mit ihrer übervollen Last in Bewegung. Da stehen wir nun, noch enger zusammengedrückt als die berühmten Sardinen in der Dose und fahren einem langen Arbeitstag entgegen.
    Einen dieser arg gedrückten Männer folge ich heute durch den Tag. Es ist Miura Kotsuke, der Mann mit der verrutschten Brille gleich vorne an der Tür. Die schiefe Brille stört ihn, doch er muss es ertragen, er kann seine Arme in der drangvollen Enge nicht bewegen. Salariman Miura ist Anfang 40, verheiratet und hat zwei Kinder. Mit seinem pflegeleichten Anzug und der Krawatte mit fleckenresistentem Muster ist Miura ein typischer Vertreter seiner Zunft. Die Bezeichnung Salariman leitet sich vom englischen salaried man, Angestellter, ab, die japanische Liebe für Abkürzungen hat mittlerweile ein Riman daraus gemacht. Jeder Mann, der ein geregeltes Gehalt erhält und sich bei der Arbeit nicht die Hände schmutzig macht, gilt in Japan als Salariman. Es sagt nichts über Position oder Einkommen aus. So geben beinahe 90 Prozent der Kinder „Salariman“ als Beruf ihrer Väter an. Das ist schön diffus und daher auch niemals falsch. Auch Miuras Kinder wissen, dass ihr Vater ein Riman ist, der morgens ganz früh aufsteht und abends so spät heimkehrt, dass sie ihn unter der Woche praktisch nie sehen. Das stört sie nicht sonderlieh, sie und die Kinder in der Nachbarschaft kennen es nicht anders.
    Seit einigen Jahren wohnt die Familie in einem kleinen Häuschen weit draußen im Nordosten von Tokyo. Der Preis für das Glück im Grünen ist hoch: Miura muss täglich mehrere Stunden pendeln. Am Morgen ist das besonders schlimm, je näher sie dem Zentrum kommt, desto voller wird die Bahn. In Ueno, einem von Tokyos riesigen Zentralbahnhöfen, steigt auch Miura aus. Er hetzt die Treppen rauf und runter, hört den Anschlusszug schon einfahren. Er läuft noch schneller und wirft sich in die nächste offene Tür. Nur nicht zögern! Wer zaudert, hat in der japanischen
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