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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Wetter nicht mit. Es ist ein düsterer Regentag, die See hat die Farbe stumpfen Stahls angenommen, Gischt tanzt auf den Wellen. Die rote Fahne am Hafen signalisiert striktes Tauchverbot. Die Perlenmädchen, oder wortwörtlich übersetzt: Meerfrauen ( Ama 1 , wie sich die professionellen Taucherinnen nennen, werden heute keine fangfrische Ware mehr zum Markt bringen. Das ist schlecht für die Hausfrauen der Umgebung, aber gut für mich, so haben die Frauen Muße für einen ausgiebigen Schwatz.
    Traditionelle Taucherinnen finden sich westlich von Tokyo auf der Halbinsel Ise bis hinunter ins südliche Okinawa. Bevor Kikochi Mikimoto ein Verfahren zur künstlichen Perlenzucht entwickelte, waren es ausschließlich die Ama, welche die weltweit berühmten Perlen Japans sammelten. Heutzutage finden die Frauen nur sehr selten Perlen. Sie sind ganz zum Ursprung ihrer Arbeit zurückgekehrt, dem Sammeln von Meeresfrüchten. Ihre Arbeit zählt zu den typisch japanischen Handwerksberufen, denen Japaner generell besonders viel Hochachtung entgegenbringen. Die schlichte Schutzhütte, die ich an diesem Morgen an der Toba-Bucht besuche, scheint sich mit ihrem herben Rohbaustil perfekt in die düstere Landschaft einzufügen. Noch mehr grau, denke ich etwas entmutigt und steige aus dem Auto hinaus in den Regen. Sofort steht eine ältere Dame ganz in Weiß neben mir und hält schützend einen Schirm über mich. „Das Wetter ist aber auch wirklich scheußlich heute! Kommen Sie schnell herein, hier ist es warm!“ Sie zieht mich Richtung Hütte. Durch geöffnete Fenster zieht Rauch ins Freie, an der Tür schlägt mir die trockene Wärme einer Feuerstelle entgegen. Abalone und Kreiselschnecken liegen auf einem Rost und verbreiten einen herben Duft, um den Herd hocken fröhlich schwatzend Taucherinnen. Hier ist es ja richtig gemütlich!, denke ich und vergesse augenblicklich die trübe Stimmung vor der Tür. Meine Dame in Weiß dirigiert mich ans hintere Ende des Raumes an einen einfachen Tisch mit Blick aufs Meer. Ziemlich schnell wird mir klar, dass sie hier die Chefin ist. „Vor sechs Jahren habe ich diese Hütte bauen lassen“, erzählt Reiko Nomura, 80 Jahre alt und seit 63 Jahren Taucherin von Beruf. „Seitdem empfangen wir hier hin und wieder Besucher und schildern ihnen unseren Alltag.“
    Der beginnt gewöhnlich gegen 5:30 Uhr, der erste gemeinsame Tauchgang folgt um 7 Uhr, am späten Vormittag endet die erste Einheit. Bei jedem Tauchgang bleiben die Frauen für knapp eine Minute unter Wasser und sammeln je nach Saison ausgewählte Meeresfrüchte. Dieser Vorgang wiederholt sich über Stunden. Nach einer ausgiebigen Mittagspause geht es zum Verkauf auf den Markt. In der Abalonen-Saison können bei zwei bis drei Stunden Tauchen schon mal umgerechnet 400 Euro Umsatz gemacht werden, ein durchaus einträgliches Geschäft. Die jüngeren Frauen kehren am Nachmittag für eine zweite und kürzere Tauchphase an den Strand zurück. Die Seniorinnen der Gruppe – von den zehn Taucherinnen ist die Älteste weit über 80, das jüngste Mitglied hingegen gerade volljährig geworden – kehren jedoch heim und kümmern sich um Feldarbeit und Haushalt.
    Das Tauchen nach Meeresfrüchten ist für die Frauen japanischer Fischerdörfer seit der Jungsteinzeit Alltag. Bevorzugte Sammelgebiete sind die zahlreichen Buchten des Archipels, die ruhigen Gewässer bieten eine größere Sicherheit als die offene See. „Andere Ama fahren mit dem Boot hinaus und arbeiten gemeinsam mit ihren Männern. Wir Küstentaucherinnen schwimmen direkt vom Strand ungefähr 500 Meter weit raus und sammeln dort.“ Dabei tauchen die Frauen weiterhin ohne technisches Gerät und verlassen sich ausschließlich auf ihre natürliche Körperkraft und persönliche Erfahrung, ihren schwimmenden Holzbottich und eine Taucherbrille. Absolutes Low-Tech im Mutterland des High-Tech.
    Seit einigen Jahren fühlt Reiko sich zu alt für die täglichen Tauchgänge. Sie macht sich zudem Sorgen um den Bestand der Meeresfrüchte. „Manchmal kommen nachts Fremde und sammeln heimlich in unseren Gründen“, empört sich Reiko. Piraterie ist nicht nur ein Problem der internationalen Hochseefischerei, sondern auch unter den Küstentaucherinnen bekannt. Verschlimmert wird die Lage durch rücksichtslose Überfischung, denn auch unter den Ama gibt es schwarze Schafe, die sich nicht an den Ehrenkodex halten, sondern mit Sauerstofftanks allzu gründlich den Meeresboden absammeln. Allein im Tauchen nach
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