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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Ernährerrolle.
    Ebenso ungewöhnlich: Bis in die Vierzigerjahre bestritten die Meerfrauen ihre Tauchgänge so gut wie nackt. Im weitaus sittenstrengeren Korea war blanker Busen im wogenden Meer verpönt. Nach dem Weltkrieg tauchten schließlich sämtliche 6 000 Ama der Ise-Halbinsel züchtig in Bluse und Wickelrock. Heute bevorzugen die rund eintausend Taucherinnen schwarzes Gummi. Auch an der Rückwand von Reikos Hütte hängen Neoprenanzüge, nur in manchen Touristenvorführungen tragen die Frauen unpraktisches Weiß, das ihnen durchsichtig an den Körpern klebt und kaum vor Unterkühlung schützt. Das mag bei jungen Frauen reizvoll sein. Doch die alten Damen, die in den Demo-Tauchgängen der Perleninsel Mikimoto ruckzuck Abalonen erbeuten und sich anschließend von ihren Kolleginnen schamhaft schnell in Handtücher wickeln lassen, deprimieren mich. Allzu sehr erinnert die Vorstellung an eine Seehundshow und macht so gar keine Lust auf Perlenkauf. Reiko hätte hier auch arbeiten können, um ihre schwindenden Fänge auszugleichen. Doch sie wollte nicht. „Mir gefällt meine Hütte und der Besuch, der zu uns kommt. Und zum Tauchen komme ich hier ebenfalls.“ Beim Erzählen wandern ihre Blicke immer wieder durch den Raum, mitten im Redefluss wirft sie ihren jüngeren Kolleginnen Anweisungen und Kommentare zu. Dann nimmt sie den Gesprächsfaden wieder auf und berichtet fröhlich, warum Männer sich nicht zum Tauchen eignen – ihnen fehle das richtige Körperfett –, und weshalb ältere Taucherinnen erfolgreicher seien als die jungen. Langjährige Erfahrung bei der Suche nach den Meerestieren ermöglicht gezielte Tauchgänge und spart so entscheidend an kräftezehrender Tauchzeit. Zum Abschied stellt sie mir noch ihren Sohn im besten Mannesalter vor. Liebevoll ordnet sie ihm das vom Wind zerzauste Haar und nennt ihn „Mein Söhnchen“, er lässt es lächelnd geschehen. Bis kurz vor der Niederkunft mit ihrem Jüngsten sei sie noch getaucht. „Und ist er nicht ein Prachtkerl? Er ist übrigens noch nicht verheiratet“, blinzelt sie mir zu. Das Prachtexemplar ist leider nicht mehr der Jüngste, weist Bauchansatz und Geheimratsecken auf. Doch welche Mutter stört sich schon daran? Ganz bestimmt nicht eine so selbstbewusste wie die starke Meerfrau Reiko.
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    1 Die japanische Bezeichnung Ama wird mit den Schriftzeichen für Meer und Frau geschrieben. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie ein wenig poetischer zu übersetzen.

Kennst du das Land, wo die Kirschbäume blühen?
    „Bring mir doch mal was typisch Japanisches mit!“ Es geht mal wieder Richtung Heimat und die Wünsche meiner Lieben sind so schwammig wie eh und je. Besonders soll es sein, originell und doch auf den ersten Blick so richtig japanisch. „Kannst du mir nicht einen echten Kimono besorgen?“ Klar, das nächste Mal bringe ich euch einen Kleinwagen von Toyota mit, der Preis dürfte ungefähr gleich sein! Seufzend lege ich den Telefonhörer auf. Ich weiß, am Ende der Ferien geht das Spiel nochmals los, dann renne ich durchs Ländle und suche verzweifelt typisch deutsche Mitbringsel. Auch japanischen Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen wollen bedacht sein.
    Ich greife nach Hausschlüssel und Handy und gehe rüber zu Frau Ito. Sie soll während unserer Sommerferien Blumen und Schildkröte versorgen. Meine Nachbarin ist eine lebenslustige und ungewöhnlich rundliche kleine Frau. Wegen ihrer Hartnäckigkeit bin ich nun Mitglied im lokalen Hausfrauenverein und bestelle unsere Lebensmittel gemeinsam mit anderen Familien der Wohnanlage über einen Coop-Lieferservice. Am Anfang unserer Freundschaft sprach sie davon, dass sie mehrere Jahre in der Kansai-Region um Osaka gelebt habe. Sie kenne also das Gefühl von Fremdheit und davor bewahrt sie mich nun regelmäßig allzu gern. Über einem Glas Kräutertee – in den Eiswürfeln hat sie kleine Minzblättchen eingefroren – unterhalten wir uns in ihrem abgedunkelten Wohnzimmer.
    „Noch eine Woche und Sie sitzen im Flieger“, schwärmt sie. „Ich würde auch so gerne mal nach Deutschland. Ich habe sogar ein Reisemagazin gekauft!“ Etwas verschämt über ihren Eifer holt sie ein Magazin hervor. Auf dem Cover prangen Neuschwanstein, die Bayernfahne und lachende, Bier trinkende Menschen. Darüber steht in grellen Pinselstrichen Doitsu, Deutschland. Ich blättere durchs Heft und murmele Zustimmung. Seite um Seite Ausflugstipps und Restaurantvorschläge, Würste, Haxen, Senfgläser. Dazwischen
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