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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Menschen in Lederhose und kariertem Hemd, mit einer Brezel in der Hand. Frau Ito strahlt mich an: „So ein schönes Land! Sie müssen stolz sein, Deutsche zu sein!“
    Was soll ich sagen? Recht hat sie, ich bin Deutsche, eindeutig. Ist ja schließlich meine Heimat. Aber liebe Frau Ito, ich bin doch keine Bayerin!, will ich sagen, kann ich aber nicht. Das wäre entgegen aller Regeln der Nachbarschaftsharmonie. Also durch die Blume: „Toll, so ein Dirndl, das möchte ich auch mal tragen. Und wie wohl so große Brezeln schmecken? Die kenne ich nur als Knabberzeug vorm Fernseher.“ Frau Ito schaut ein wenig misstrauisch. Hat das Heft Unrecht oder bin ich am Ende gar keine richtige Deutsche? „Ito-san“, setze ich an, „natürlich ist das Deutschland. Genauso wie rosa Kirschblüten, der schneeweiße Fuji und Damen im bunten Kimono hundertprozentig japanisch sind. Aber das ist doch lange nicht alles.“
    Während ich von Deutschland erzähle, füllt meine Nachbarin unsere Gläser mit Eistee nach. Meins ist elegant blass-grün, eindeutig das Besucherglas, während ihres ein Mickey-Mouse-Muster ziert. Frau Ito hält sich zum Glück nie lange mit höflichen Floskeln auf und zieht gleich mit. „Unsere Kirschblüten sind natürlich sehr schön, aber sie symbolisieren nicht unser Land, sondern nur den Frühling. Ab März verkündet die Wettervorhersage jeden Abend das Vorrücken der Kirschblütenfront und gibt Prognosen für unsere Region. Das macht das Planen für unser Hanami 1 um Vieles leichter“, erklärt sie. „Früher gab es in sämtlichen Jahreszeiten ähnliche Feste, heute feiern wir nur noch das Kirschblütenfest.“
    „Aber“, bremse ich ihre detaillierten Ausführungen über die schönsten Plätze für ein Picknick unter blühenden Bäumen, „was ist mit dem berühmten Samurai-Ethos? Heißt es nicht, das Leben eines japanischen Kriegers sei wie die Kirschblüte, kurz aber wunderschön?“
    Dieser Spruch, meint Frau Ito, stamme aus dem 20. Jahrhundert von einem Mann namens Nitobe Inaz ō . Der beschreibt in einem Buch für Ausländer die Seele Japans und habe dabei einfach nur allzu griffig formuliert. Die kaiserliche Marine nutzte Nitobes verklärte Interpretationen im Zweiten Weltkrieg als Propaganda und überzeugte damit junge Piloten vom freiwilligen Tod als Kamikaze-Flieger. „Im Mittelalter war das noch anders. Damals bewunderte man tatsächlich die Vergänglichkeit der zarten Blütenschönheit“, fügt sie noch hinzu, „doch sah man in ihr allgemein die Vergänglichkeit des Lebens.“ Sie schiebt mir auffordernd den Teller mit gekühlten Melonenhappen zu. „Keine vernünftige Samurai-Familie trug in ihrem Wappen die Kirschblüte!“, lacht die kleine Dame. „Wer wollte seine Familie schon so schnell verblühen sehen! Nein, nein, die Kirschblüte war unter Kriegern kein allzu gutes Omen.“
    Frau Ito erhebt sich vom Esstisch und geht zum Hauptmöbel der kleinen Wohnung, einer gewaltigen Schrankwand aus dunklem Holz. Sie kramt in einer Schublade und hält kurz darauf ihren Reisepass in der Hand. „Schauen Sie mal auf den Umschlag!“ Auf rotem Grund prangt eine goldene Chrysanthemenblüte, das kaiserliche Siegel Japans. „Die Chrysantheme ist eine der vier edlen Blumen der Chinesen und symbolisiert den Mut. Sie öffnet ihre Blüten erst, wenn alle anderen Blumen schon längst verblüht sind. Auch für uns Japaner besitzt sie eine große Symbolkraft, sie steht für das japanische Kaiserhaus.“
    Da Japan kein Pendant zum Bundesadler besitzt – es gibt also kein Staatswappen –, benutzt das Land heute kurzerhand Kaisers Blüte als nationales Symbol. Neben Tennos 2 einzigartigem Chrysanthementhron und seiner äußerst seltenen Verleihung des Chrysanthemenordens gibt es immerhin für alle Bürger eine Chrysantheme auf ihrem Reisepass. Ursprünglich kam die Herbstblume im achten Jahrhundert als Heilpflanze nach Japan. In China und Korea trinkt man noch heute Chrysanthementee, in Japan zieren hingegen essbare kleine Blüten klassische Speisen wie rohen Fisch. Im zehnten Jahrhundert wurde die robuste Pflanze erstmals zur kaiserlichen Blume erhoben. In der Edo-Zeit begeisterte sich dann auch das gewöhnliche Volk für Chrysanthemen-Bonsai und sogenannte Kiku-Ningyo, lebend große Puppen mit real wachsenden Chrysanthemengewändern. Im Herbst peppen viele Ausflugsziele ihre Attraktionen mit kitschigen Szenarien der beliebten Blumenpuppen auf. „Die Motivwahl ist manchmal ein wenig geschmacklos, aber
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