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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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machen Gerüchte die Runde, dass Eltern ihren Töchtern den Weg in die Schule erkaufen. Die Schulgebühren von umgerechnet 2 500 Euro im Jahr sind nicht ungewöhnlich hoch, jede ordinäre japanische Fachoberschule verlangt heute so viel. Es ist das Prestige, eine Takarasienne in der Familie zu haben, und die Aussicht auf richtig gute Ehekandidaten, die manche Mütter und Väter anscheinend zu unlauteren Mitteln greifen lassen. Die graue Schuluniform macht die jungen Damen beim Eintritt wieder gleich. Sie stammt aus den Dreißigerjahren, als die Schule den Hakama, Japans traditionellem Schulkimono, zugunsten des militaristisch beeinflussten Uniformstils aufgab.
    Ganz ohne Militär geht es auch heute nicht. Alle Anfängerinnen werden von japanischen Offizieren in Marschieren, korrektem Stehen und Verbeugen unterrichtet. Wer könnte einem zukünftigen Mann besser männliche Attitüden beibringen? Die Spezialisierung auf Männer- oder Frauenrollen beginnt jedoch erst im zweiten Jahr. Dabei spielen Körpergröße, Stimme, Persönlichkeit und sogar ein Quäntchen Vorliebe eine entscheidende Rolle. Die neuen Männer ( Otokoyaku ) sind groß, haben rechteckige Gesichter, dickere Augenbrauen, dunklere Haut und breitere Schultern. Eine tiefere Stimme und Charisma runden ihre Erscheinung ab. Mit ausgreifenden Armbewegungen, die Hände stets zu Fäusten geformt, marschieren sie mit großen Schritten über die Bühne. Die Musume (Töchter, Mädchen) halten ihre Arme bis zum Ellenbogen dicht am Körper und reduzieren ihre Bewegungen auf ein Minimum. Für sie heißt es, bloß nicht auffallen, bloß nicht Raum beanspruchen! Der männliche Part ist der Star jeder Show, die Frauenrollen sind unterstützend, aber niemals führend. Ai hat Glück gehabt, sie darf ein Mann werden. „Als Kind wusste ich gar nicht, dass die Männer von Frauen gespielt wurden. Sie erschienen mir so perfekt, und nun werde ich selbst einer!“ Ai findet es nur schade, dass sie nun auch im Privatleben niemals Röcke oder Kleider tragen darf. Doch die Hoffnung, eines Tages selbst Superstar mit großer Fangemeinde zu sein, versüßt ihr diesen kleinen Verzicht erheblich.
    Bis dahin wird wohl noch eine Weile vergehen. Nach einem Jahr in der Anfängertruppe werden die Neulinge auf die fünf Ensembles verteilt. Jede Gruppe pflegt ihren eigenen Stil. So gelten die Darsteller des Mond-Ensembles ( Tsuki-gumi ) als exquisit und charmant, die Sterne ( Hoshi-gumi ) als strahlend extrovertiert. Im Zentrum jeder Truppe steht das „Golden Combi“, das Traumpaar. Diese beiden Darstellerinnen besetzen grundsätzlich die Hauptrollen und garantieren ein volles Haus. Und das schon am Vormittag bis hinein in den späten Nachmittag. Abends bleibt das Theater geschlossen, denn die Fans müssen nach Hause zu ihren Familien. Obwohl nur unverheiratete, hübsche junge Frauen auf der Bühne stehen, sind männliche Fans nahezu unbekannt. Das Gros der Bewunderer sind gestandene Hausfrauen wie Michiko. Es wurde schon viel gerätselt, warum das so ist. Manche vermuten, dass junge Mädchen sich von den femininen „Männern“ angezogen fühlen und sie ohne Ängste anhimmeln können. Auf der Bühne knistert es gewaltig, aber Kuss und Umarmung werden nur angedeutet. Alles Weitere wird der Fantasie der Zuschauerin überlassen. Und die haben gestandene Japanerinnen wohl ganz besonders, die Altersgruppe jenseits der vierzig fühlt sich am stärksten von der üppigen Traumwelt angezogen. Diese Frauen haben einen arbeitsintensiven Lebensabschnitt gerade hinter sich. Die Kinder sind groß, der Ehemann sitzt in der Firma fest im Sattel. Nun gönnen sie sich wieder Muße und Unterhaltung. Ihre Männer haben mittlerweile jeglichen Sinn für Romantik verloren, ein neuer Mann muss es nun auch nicht gleich sein. Eine zuckersüße Dosis Herzschmerz am Nachmittag ist fantastisch. Da hier Frauen unter Frauen bleiben, haben auch die Männer nichts gegen das harmlose Vergnügen. Takarazuka ist in ihren Augen keine Konkurrenz. So sind am Ende alle zufrieden, die Frauen kommen nach einem Nachmittag vermeintlicher Abenteuer beschwingt und pünktlich zum Kochen nach Hause, und der Ehemann hat nach einem langen Tag seine Ruhe.
    Michiko ergeht es ganz genauso. „Mein Mann geht mit den Kollegen Golf spielen und das hier ist mein Hobby.“ Seit vielen Jahren ist sie Mitglied eines Fanklubs und hat sich damit einige Privilegien errungen. Wenn die Verehrerinnen am Bühnenausgang auf „ihre“ Stars warten, darf sie
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