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1500 - Der Albino

1500 - Der Albino

Titel: 1500 - Der Albino
Autoren: Jason Dark
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Lucio kam öfter hierher. Es war immer ein Spaß, wenn er sich zwischen den normalen Menschen blicken ließ, wobei er den Begriff »normal« auch gern für sich beanspruchte. Andere sahen es nicht so, und es machte ihm auch Spaß, die Menschen durch sein Aussehen zu erschrecken.
    Gefolgt war ihm niemand. Es herrschte auch eine relative Stille in seiner Umgebung. So war er in der Lage, das Klatschen der dicken Regentropfen zu hören, die von der Dachrinne fielen. Bei diesem Wetter trauten sich nicht viele Menschen hinaus. Da blieben sie lieber in ihren Löchern hocken, die sie als Wohnungen bezeichneten.
    Lucio drückte die Tür auf.
    Die Stille verschwand schlagartig. Bierdunst wehte ihm entgegen.
    Er mischte sich mit dem Rauch und dem Geruch der Menschen, die sich in der Bar aufhielten. Es galt zwar Rauchverbot in den Kneipen und Pubs, doch hier kümmerte sich niemand darum.
    Wegen der Geräusche wurde Lucio nicht sofort gehört. Erst als er zwei Schritte weit in den Raum hineingegangen war, wurden die ersten Gäste aufmerksam.
    Eine Frau mit gelben Harren, die mit zwei Typen an einem Tisch hockte, schaute auf, zuckte leicht zusammen und sagte dann mit recht lauter Stimme: »He, Lucio.«
    Er blieb stehen. Er tat es bewusst, denn er wusste genau, dass jetzt die Blicke der Menschen auf ihn gerichtet waren. Keiner würde sich mehr für sein Bier interessieren oder für irgendeinen Schnaps. Der neue Gast war interessanter.
    Er ging auch nicht weiter. Er genoss die Blicke und machte sich einen Spaß daraus, den Hut vom Kopf zu ziehen, denn nun sah man auch sein Gesicht.
    Lucio bot einen gewöhnungsbedürftigen Anblick. Es gab Menschen, die eine roten Kopf bekamen, wenn sie ihn sahen, und dann so schnell wie möglich wegschauten. Hier aber kannte man ihn, man schaute auch nicht weg, aber ein gewisses Erschrecken war immer vorhanden, wenn er so plötzlich erschien.
    Er genoss seinen Auftritt und deutete sogar eine Verbeugung an.
    Er sagte nichts, aber er lächelte. Wer dieses Lächeln sah, der konnte den Eindruck bekommen, einen Faun vor sich zu haben. Es wirkte so aufgesetzt und unnatürlich, aber zugleich auch hintergründig und auf eine bestimmte Art verschlagen.
    Sein Gesicht war etwas Besonderes. Von der Haut her war es bleich. Es hatte keine Pigmente oder nur sehr wenige. Es wuchs auch kein Haar auf dem Kopf, und man konnte sich schlecht vorstellen, dass er je einen Bartwuchs haben würde.
    Große Ohren saßen wie angeklebt an den Kopfseiten. Auch sie waren von der gleichen bleichen Farbe wie das Gesicht. Die Lippen hoben sich davon nur ganz schwach rosafarben ab.
    Im krassen Gegensatz dazu stand seine Kleidung. Jacke und Hose waren aus schwarzem Stoff. Auch das Leder der Schuhe glänzte schwarz.
    Dann gab es da noch die Augen. Sie zeigten diese erschreckende Bleichheit nicht. Zum einen lagen sie recht tief in den Höhlen, zum anderen sahen die Pupillen dunkel wie zwei Knöpfe aus und wirkten künstlich, als hätte man sie einfach in die Höhlen hineingedrückt.
    Aber dieser Mensch war nicht künstlich. Er lebte. Eine Laune der Natur musste ihn so geschaffen haben. Und er war jemand, der überall auffiel. Wer ihn sah, der konnte sich kaum vorstellen, dass es noch einen zweiten Menschen gab, der so aussah wie er. Auf eine gewisse Weise war er wohl einmalig.
    Und das genoss er!
    Er behielt den schwarzen Hut mit der breiten Krempe in der Hand und deutete eine tiefe Verbeugung an. Lucio genoss seinen Auftritt, denn er benutzte diese Umgebung als Bühne.
    Nach der Verbeugung richtete er sich wieder auf.
    »Ich wünsche einen guten Abend, Freunde, und hoffe, dass ihr euch so wohl fühlt wie ich.« Er fing an zu lachen und schritt auf die Theke zu, hinter der die Madame bediente.
    Eine Frau um die sechzig, die schon ein verdammt hartes und abwechslungsreiches Leben hinter sich hatte. Über Jahre hinweg hatte sie in Frankreich gelebt und wurde deshalb nur Madame genannt.
    Es ging die Mär, dass sie dort in einem Puff als Concierge ihr Geld verdient und auch ausgeholfen hatte, wenn mal Not am Mann war.
    Das Leben hatte sie gezeichnet. Sie sah längst nicht mehr so gut aus wie früher. Sie war verlebt, die Haut hatte gelitten, aber ihre Augen blickten immer noch sehr wach. Das graue Haar hatte sie nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem Knoten gebunden.
    Sie lebte nicht, allein. Unterstützt wurde sie von Bubi. So jedenfalls nannte sie den Mann, der mit ihr die Zimmer über der Kneipe teilte.
    Bubi war eine Tonne auf zwei
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