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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Anstellung kommt entweder mit der Heirat oder aber spätestens mit dem ersten Kind. Dabei gilt die Firma immer noch als der beste Heiratsmarkt, die Hälfte aller Ehen werden in Japan unter Kollegen geschlossen. „Meine Frau habe ich auch hier kennengelernt“, erzählt Miura. Nach der Hochzeit erhielten die beiden eine günstige Firmenwohnung und seine Frau Kyoko kündigte ihre Stelle. Sie tauchte ab in die geschäftige Welt der Mütter und Kleinkinder, während Miura sich an den Aufbau seiner Karriere machte. Finanziell stehen sie heute gut da, das Gehalt steigt nicht mehr so stark wie in den Anfangsjahren, auch besagte Bonuszahlungen im Sommer und Winter fallen geringer aus. Doch seit einiger Zeit arbeitet Kyoko wieder in Teilzeit im Baumarkt um die Ecke. Ihr Gehalt sparen sie für die Ausbildung der Kinder und so blicken sie recht optimistisch in die Zukunft. Das erträumte Aussteigerleben muss jedoch noch ein paar Jahre warten. Miura seufzt und schaut auf die Uhr, schon 20 Uhr.
    Endlich schiebt der Chef seine Papiere zusammen, schlüpft in seine Straßenschuhe, verschiebt sein Magnetknöpfchen und entrichtet den Abschiedsgruß. Die Truppe antwortet ihm enthusiastisch, kann man nun selbst endlich Feierabend machen.
    Viele Konzerne versuchen mittlerweile, den Hang ihrer Vorgesetzten zu Überstunden einzudämmen. So schaltet zum Beispiel ein großes Kosmetikunternehmen um 22 Uhr automatisch im ganzen Haus das Licht aus. Wer danach den Schalter betätigt, muss mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Auch das Gesetz verbietet mittlerweile mehr als 30 Überstunden im Monat. Dass die fast immer unbezahlt abgeleistet werden, wird kaum debattiert. Problematisch sind die mittleren Unternehmen, die weder Buch über Überstunden noch Grenzen in der Belastbarkeit ihrer Angestellten erkennen. Karoshi, Tod durch Überarbeitung, ist inzwischen offiziell als berufsbezogener Tod anerkannt und zwingt den Arbeitgeber zu Entschädigungszahlungen. Doch beweisen können die Hinterbliebenen das in den wenigsten Fällen. In Miuras Arbeitsbereich Entwicklung ist der Druck nicht so extrem. So packen die Kollegen wenige Minuten nach dem Chef ihre Taschen und machen sich auf Richtung Bahnhof. Wenn Miura sich jetzt beeilt, schafft er es heute Abend noch rechtzeitig heim zu Salaryman Neo. Die Late-Night-Comedy-Show über das Leben und Leiden durchschnittlicher Angestellter hat sich zum absoluten Hit entwickelt. Miura mag am liebsten die Szenen mit ganz normalen Typen, die urplötzlich daheim Besuch vom Chef bekommen oder denen der erste Besuch in einem Kosmetiksalon für Männer furchtbar peinlich ist. Seine Frau hingegen liebt Sexy Bucho, den Abteilungsleiter im Latin-Lover-Stil. Sie will nichts davon hören, dass es solche feurigen Typen im echten Firmenleben nicht gibt. Auch wenn Miura nicht müde wird, ihr das immer wieder zu erzählen. „Lass mich doch“, sagt sie dann, „dich fand ich früher auch sexy“, und schaut dabei bedeutungsvoll auf seinen leichten Bauchansatz.
    Sexy Salariman Miura, das ist auch schon eine Weile her, überlegt Miura, als er am Ende eines langen Arbeitstages endlich in der leeren Bahn sitzt. Er gähnt und streckt genüsslich seine Beine aus. Wenn es doch nur nicht noch 90 Minuten bis nach Hause wären!

Nylon-Kabuki
    Einmal im Monat ist Hausfrau Michiko schon beim Aufstehen wie elektrisiert, scheucht Mann und Kinder aufgeregt aus dem Haus und fährt wenig später mit der Vorstadtbahn zu einem kleinen Badeort nördlich von Kobe. An diesen Tagen macht sie sich extra schön und vergisst nie, sich einen türkisfarbenen Schal umzubinden. Das ist das Erkennungszeichen. Hat die brave Michiko etwa eine Affäre? „So was mache ich doch nicht“, kichert sie. „Der Schal zeigt nur, dass ich zum Fanclub von Jun gehöre.“
    Sena Jun ist Superstar des Takarazuka-Revuetheaters. Singend und tanzend erobert Jun mal als Kaiser Franz Josef, mal als Rhett Butler die Herzen von Frauen wie Michiko. Einmal im Monat ist Programmwechsel, dieser Tag ist Michiko geradezu heilig. Für einen Tag lassen sie und ihre Clubfreundinnen Haushalt, Kinder und Ehemann hinter sich und tauchen ein in die glamouröse Traumwelt des Takarazuka.
    Seit knapp einhundert Jahren vertont das Revuetheater Weltliteratur und Kassenschlager. Leidenschaftliche Duette und komplizierte Tanzschritte machen weder vor Tolstois „Krieg und Frieden“ noch vor Zorros Abenteuern halt. Das Publikum ist immer wieder begeistert, wenn zum Abschluss sämtliche
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