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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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Darsteller in Las-Vegas-Manier die breite Treppe hinuntertanzen. Jubel bricht aus, Standing Ovations für die Hauptdarstellerin! Denn Rhett, das Franzerl und seine Kollegen sind allesamt Frauen.
    Das Takarazuka-Theater ist ein japanisches Phänomen und das gleich im doppelten Sinn. Da schaut sich ein japanischer Geschäftsmann an, was weltweit auf Papier und Zelluloid Erfolg hat, passt es dem japanischen Geschmack an, lässt nur junge unverheiratete Frauen auf die Bühne, und das Konzept schlägt ein wie eine Bombe. Das Resultat sind zwei Millionen Zuschauer im Jahr und ein zweites Spielhaus in Tokyo. Die Vorgehensweise kennen wir aus anderen Bereichen der Wirtschaft – wer erinnert sich nicht an die ersten, verdächtig vertraut aussehenden Autos made in Japan? Allein ein Geschlecht in sämtlichen Rollen Theater spielen zu lassen, das hat in Japan bekanntlich Tradition. Das klassische Kabuki-Theater kennt nur männliche Darsteller, das Takarazuka-Theater dreht den Spieß um und besetzt seine Musicals nur mit Frauen. Genau wie im Kabuki spezialisieren sich die Schauspielerinnen auf die Darstellung eines Geschlechts. Manche gehen so in ihrer Rolle auf, dass sie auch im Alltag einen künstlichen Bart tragen, um das richtige Feeling zu bekommen. Trotzdem werden sie von Kritikern abfällig als Nylon-Kabuki bezeichnet. Gerne vergessen diese Stimmen die rauen Anfänge des edlen Kabuki und seinen enormen Erfolg bei den Vergnügungssüchtigen der Edo-Zeit. Damals nahm man beliebte Stücke aus dem Puppentheater und ließ sie von richtigen Menschen spielen, heute erweckt das Takarazuka Kinofilme zum Leben. Kabuki wurde vor 400 Jahren von einer Frau gegründet und endete als reines Männertheater, der Gründer des Takarazuka-Frauentheaters war ein Mann. Seine Erfolgsgeschichte begann mit einer Pleite.
    Der Eisenbahn-Tycoon Kobayashi Ichizo baute Anfang des 20. Jahrhunderts eine Bahnverbindung von Osaka über Kobe in den Onsen-Badeort Takarazuka. Um die Leute in seine Eisenbahn zu bekommen und das Tagesgeschäft in Takarazuka zu beleben, errichtete er in dem kleinen Ort das erste moderne Familienbad Japans. Die Ausflügler wollten aber lieber abends in heißen Quellen entspannen, als in einem unbeheizten Schwimmbad ihre Runden drehen. Die Investitionen schienen in den Sand gesetzt. Doch so schnell gab Kobayashi nicht auf, er gründete ein rein weibliches Revuetheater mit eigener Schule. Das war 1913. Damals galten Schauspielerinnen als bessere Prostituierte, keine halbwegs anständige Familie hätte ihre Tochter zu Kobayashi geschickt. Also organisierte der findige Kobayashi seine Tanzakademie nach dem Muster einer Klosterschule: Alle Schülerinnen leben – auch heute noch – ohne Ausnahme im Internat. Während ihres ersten Ausbildungsjahres dürfen sie das Gelände nicht ohne Begleitung verlassen, männlicher Besuch ist nur in der Eingangshalle erlaubt. Die jüngeren Schülerinnen haben den älteren zu gehorchen. Dazu gehört auch das Putzen ihrer Zimmer mit Eimer und Schrubber. Staubsauger und andere Hilfsmittel sind verboten, sie verweichlichen nur und sorgen nicht für die nötige Hingabe und Demut. Klosterschulen sind heutzutage sicherlich weitaus freizügiger geworden, Kobahashi beharrt hingegen weiterhin auf Disziplin und Regelgewalt.
    Trotz des überaus strengen Schulalltags rennen die Bewerberinnen der Akademie alljährlich die Türen ein. Die Takarazuka Music School gilt als Japans beste Schule für Tanz und Gesang. Wer sie absolviert, hat im japanischen Showbusiness sehr gute Chancen. So wurden im April 2009 von über eintausend Bewerberinnen zwischen 15 und 18 Jahren nur 40 angenommen. Die 19-jährige Ai ist eine von ihnen. Sie ist im zweiten Jahr ihrer Ausbildung, bald darf sie sich ihren Künstlernamen aussuchen und wird in die Anfängertruppe aufgenommen. „Ich wollte schon immer in prächtigen Kostümen auf der Bühne stehen“, erzählt sie mit glänzenden Augen. „Mit neun Jahren bekam ich dann endlich professionelle Tanz- und Gesangstunden.“ Ohne diese Extrastunden hätte Ai bei den Prüfungen keinerlei Chance auf Erfolg gehabt. Die Leiterin ihrer Privatschule war eine ehemalige Takarasienne, wie sich die Schauspielerinnen des Theaters selbst bezeichnen. Takarasienne ist eine fantasievolle Ableitung von „Parisienne“, den begehrten französischen Chic erhalten die jungen Damen also automatisch mit ihrem neuen Status.
    Hartes Üben allein reicht nicht immer für eine erfolgreiche Aufnahme. Jedes Jahr
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