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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Autoren: Christine Liew
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in der vorderen Reihe stehen. Dafür sorgt die Präsidentin ihres Klubs, eine resolute ältere Dame. Diese Damen sind oftmals auch persönliche Betreuerinnen der Stars. Sie nehmen der Takarasienne sämtliches Gepäck ab, bestimmen, wer ihr Präsenttüten überreichen darf, und begleiten sie heim. Manche gehen so weit, ihnen auch das tägliche Lunchpaket herzurichten. Doch ihre erste Aufgabe ist es, unter den Fans für Ordnung und Disziplin zu sorgen. Und das funktioniert sehr gut: Zeigt sich die Bewunderte nach einem langen Arbeitstag am Bühnenausgang, knien sich die vorderen Reihen sofort hin, um den hinteren nicht den Blick zu versperren. Niemand drängelt oder versucht gar, den Star zu berühren. Von dieser Szene träumt Ai natürlich auch. Dann sieht sie sich selbst lächelnd die Reihen abschreiten und in Windeseile Briefe und Aufmerksamkeiten entgegennehmen, bis das Kommando ihrer Betreuerin ertönt, der gesamte Fanklub einen Abschiedsgruß ruft und die Menge der entzückten Damen sich geordnet auflöst.
    Die allabendlichen Familienpflichten rufen, nach der Starverabschiedung haben es Michiko und die anderen Frauen eilig, zur Bahn zu kommen. Dort zeigt sie stolz ihr Souvenir herum: ein Foto gemeinsam mit Jun. Und nicht etwa ein verwackelter Schnappschuss mit dem Handy, sondern eine richtige Studioaufnahme aus dem Hause Takarazuka! Macht nichts, dass Jun nachträglich in das Bild hineinkopiert wurde. Dafür trägt Michiko auf dem Foto die prächtige Robe der Scarlett, komplett mit passender Perücke. Ihre Freundinnen sind entzückt und kommentieren das Bild mit hohen Zwitscherstimmen. Michiko schaut ein bisschen wehmütig. „Jun wird bald aufhören, sie will heiraten. Das wird hart für uns alle.“ „Na ja, Jun hat auch ein Recht auf Eheglück und Kinder. Dafür muss sie halt aufhören, so sind die Regeln“, sagt sie dann tapfer. „Ich habe im Fanmagazin gelesen, dass sie ein ganz normales Leben führen will. Doch nicht etwa so wie wir?“ Darüber müssen die Damen im Zug dann doch alle herzlich lachen. Wer wünscht sich schon den ganz normalen Alltag einer Hausfrau herbei? So etwas Naives fällt doch sonst nur Männern ein! Eben.

Ketchupherzen und Zauberkaffee
    „Electric Town Akihabara“ – auch ohne den Wegweiser hätte ich den richtigen Ausgang vom Bahnhof gefunden, der Menschenstrom spukt mich zuverlässig an der großen Kreuzung auf Akihabaras Westseite aus. Dies ist das Tokyo unzähliger Reiseführer: grell, bunt und chaotisch! Über mir die düsteren Trassen der Eisenbahn, Neonschriftzüge bedecken kreuz und quer sämtliche Hauswände, plakative Manga-Heroinen in Riesenformat sehen lächelnd auf mich herab. Imposante Niederlassungen der Elektro-handelsketten locken mit den neuesten Produkten der Branche. Gleich daneben öffnen sich tunnelartige Labyrinthe mit winzigen Läden. Wie Waben eines Konsum-Bienenstocks ziehen sie sich über mehrere Stockwerke, Käufer und Verkäufer umschwirren die gläsernen Vitrinen der Sammlermärkte in ihrer fensterlosen Innenwelt. Von Schlümpfen bis zu nackerten Schulmädchenfiguren warten die seltsamsten Plastikobjekte auf einen neuen Liebhaber. Und derer gibt es hier viele.
    Lange Zeit war Akihabara allein für die Vielfalt seiner Elektrogeschäfte bekannt. Der Aufstieg des Viertels begann mit dem Schrott, den amerikanische Besatzungssoldaten hinterließen, aus denen die Jungs der nahen Berufsschule ihre ersten Radios bastelten und sie gleich an Ort und Stelle zum Verkauf anboten. Mit dem Wirtschaftsaufschwung folgten dann immer mehr Läden für Haushaltswaren jeglicher Art, nur einen Stecker mussten sie haben. Hier kauften die Hauptstädter ihre Toaster und Waschmaschinen. Erst mit dem Aufkommen von Spielkonsolen und Softwareläden Ende der Achtzigerjahre verwandelte sich die gute alte Electric Town in ein Paradies für Gamer und Anime-Fans. Das Viertel wurde zum Anziehungspunkt einer ganz bestimmten, etwas verschrobenen Klientel von Computerfans. Der Stamm der eigenbrötlerischen Otakus, der sogenannte Akiba-kei 1 , fand hier seine Heimat.
    Als Otaku bezeichnet man vor allem Männer, deren Interessen sich allein um ein Thema drehen, dies ist meist die Welt der Manga und Anime, des Cosplays oder der Computerspiele. Die Bezeichnung Otaku entspricht am ehestem dem englischen Wort „Nerd“, obsessive deutsche Modelleisenbahner sind als Beispiel allerdings auch nicht schlecht. Wer ihre Leidenschaft teilt, ist für Stunden begeistert, die anderen schauen längst
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