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Schattenreiter

Schattenreiter

Titel: Schattenreiter
Autoren: Sarah Nikolai
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1. K APITEL
    V or zwei Tagen hatte ich meinen 20 . Geburtstag gefeiert, jetzt saß ich in einem Flieger nach South Dakota, ohne zu ahnen, dass dies die aufregendsten Wochen meines Lebens werden sollten und ich schon bald ein uraltes Geheimnis ergründen würde, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.
    Die USA kannte ich bisher nur aus Dads Geschichten von seiner Kindheit und Jugend. Nun würde ich das Desert Spring mit eigenen Augen sehen. Endlich. Aber die Neugierde auf Dads Heimat war nicht das Einzige, was mich nach South Dakota zog. Seit ich in das Flugzeug gestiegen war, spürte ich eine große Freude, eine Euphorie, die über das normale Maß hinausging und die ich mir nicht erklären konnte. Vielleicht wusste ich schon damals, tief in meinem Inneren, dass ich eine Malhamota war.
    Die Maschine machte Zwischenstopps in Amsterdam und Minneapolis. Von dort aus ging es direkt nach Rapid City, wo mich Tante Abigail erwartete, die ich zuletzt gesehen hatte, als sie meine Familie vor mehr als zehn Jahren in Berlin besucht hatte. Alles in allem würde ich über 17 Stunden unterwegs sein.
    Ich schaute aus dem Fenster und beobachtete eine Weile die schnell an uns vorüberziehenden Wolken, ehe ich den Reiseführer aus meiner Tasche kramte. Ich hatte genügend Zeit, ihn genauestens zu studieren. Und bevor wir über den Atlantik flogen, hatte ich ihn bereits ausgelesen. Pennington County lautete mein Ziel. Um genauer zu sein, Calmwood, ein kleines Städtchen in der Nähe von Rapid City, irgendwo in den Black Hills.
    Um 17 Uhr Ortszeit landeten wir auf dem Rapid City Regional-Airport, und ich fühlte mich wie gerädert, denn die Uhrzeit stimmte nicht mit meiner inneren Uhr überein. Ich hatte mehrere Zeitzonen hinter mir gelassen, und das Schlafen im Flugzeug hatte sich als deutlich schwieriger erwiesen, als ich angenommen hatte.
    Nachdem ich mein Gepäck vom Rollband genommen hatte, betrat ich die Ankunftshalle und hoffte, ich würde Tante Abigail wiedererkennen. Sie musste groß, korpulent und außerdem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten sein. Zu meinem Erstaunen war im Eingangsbereich nicht sonderlich viel Betrieb. Kein Vergleich zu dem Gedrängel am Flughafen Tegel. Auf der Anzeigentafel las ich, dass die nächste Maschine erst in einer Stunde erwartet wurde. Das sprach nicht gerade für ein reges Flugaufkommen.
    Ich drehte mich einmal um mich selbst, ohne jemanden erspäht zu haben, der mir bekannt vorkam. Da fiel mir plötzlich eine Frau mit einem Pappschild in den Händen auf. Sie stand neben drei anderen Wartenden. Ihre ziemlich kräftigen Arme verrieten, dass sie hart zupacken konnte. Ein volles und sehr freundliches Gesicht milderte diesen Eindruck jedoch ab. Sie trug eine Jeanslatzhose und ein kariertes Hemd mit hochgekrempeltenÄrmeln. Der Clou aber war der weiße Cowboyhut, unter dem eine dichte dunkelbraune Haarmähne hervorquoll.
    Welcome Jorani!, stand auf dem Schild.
    Tante Abigail sah anders aus, als ich es erwartet hatte. Die Erinnerung an eine dicke, hünenhafte Frau war offenbar nur ein Trugschluss, weil ich damals noch klein gewesen war.
    Ich winkte ihr, um ihr ein Zeichen zu geben. Sofort kam sie auf mich zu, breitete die Arme aus und drückte mich an ihre Brust. Dann gab sie mir noch dicke Schmatzer auf beide Wangen.
    »Willkommen in Amerika!«, begrüßte sie mich. »Wie schön, dich endlich mal wiederzusehen, meine Süße. Und wie groß du geworden bist. Lass dich mal anschauen.« Sie hielt mich an den Schultern fest und musterte mich von oben bis unten, während ich versuchte, mein Sprechen und Denken ganz auf Englisch umzuschalten.
    Das fiel mir nicht allzu schwer. Dad war wegen Mom nach der Wende in Berlin geblieben und hatte dafür gesorgt, dass meine Geschwister und ich zweisprachig aufwuchsen. Wir nannten unsere Eltern auch nicht Mutti oder Vati, sondern Mom und Dad. Das klang in meinen Ohren viel vertrauter.
    »Du siehst gut aus, echt gut. Und wenn du lächelst, dann sehe ich John vor mir«, sagte sie voller Anerkennung und strahlte über das ganze Gesicht. Sie schien sich ehrlich zu freuen, mich zu sehen. Ich war erleichtert, dass die Chemie zwischen uns auf Anhieb stimmte.
    »Danke. Du siehst aber auch toll aus.«
    Tante Abigail strich sich mit einer Hand über den Bauch. »Das verdanke ich alles meinem Fitnesstrainer.«
    Sie lachte leise, legte mir einen Arm um die Schultern und führte mich zum Parkplatz. »Komm. Mein Wagen steht gleich dort drüben.
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