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Chaos über Diamantia

Chaos über Diamantia

Titel: Chaos über Diamantia
Autoren: A. E. van Vogt
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1.
     
    »… Graue Gedanken unter einem grauen Himmel. Über die dunkelnden Dächer Neu Neapels hinausblickend, beobachtete Christomene den wabernden Feuerschein und die Rauchwolken über dem unermüdlichen Vesuv IL Sie ließ ihre Gedanken in der Ferne Form annehmen, im brodelnd steigenden und vom Seewind abgedrängten Rauch, wie jemand, der in den tanzenden Flammen eines Kaminfeuers Bilder sucht.«
    Morton unterbrach seine Lektüre, weil der Wagen in ein Schlagloch krachte; und außerdem war mit dem eben gelesenen Absatz ungefähr die Grenze der Aufmerksamkeitsspanne erreicht, die ihm seit seiner Ankunft auf Diamantia IV für die Verarbeitung irgendeines Geschehnisses zur Verfügung stand.
    Er zwinkerte einige Male, wobei er seine Augen fest zusammenkniff, um die sich verdichtende Dunkelheit aus seinem Gehirn zu zwingen. Die Anstrengung – es war nicht die erste dieser Art – brachte Erleichterung. Plötzlich, als sei ein Gewicht von ihm genommen worden, wich die Dunkelheit zurück, und sofort fühlte er sich frischer, klarer; wieder normal. Er warf Leutnant Bray, der den Wagen steuerte, einen kurzen Blick zu. Er hatte schon vorher gehört, daß der andere in seiner Freizeit der für einen Geheimdienstoffizier vielleicht naheliegenden Ambition huldigte, Romane zu schreiben. Aber dies war das erste Mal, daß er eine Probe dieser schriftstellerischen Bemühungen sah. Was er eben gelesen hatte, reichte für ein Urteil natürlich nicht aus, aber er fühlte sich irgendwie an schwülstige Kolportage erinnert.
    »Ich könnte mir denken, daß sich solche Sachen gut verkaufen«, sagte er höflich.
    Brays schmales, angespanntes Gesicht nahm einen vorsichtigen Ausdruck an. »Ich weiß es nicht«, bekannte er. »Ich habe drei Romane von der Sorte verkauft. Aber drei andere, die genauso waren, konnte ich nicht loswerden. Ich glaube, alles hängt davon ab, ob es den Verleger auf der Erde reizt, einen Stoff direkt aus der exotischen Umwelt zu erhalten, in der die Handlung angesiedelt ist. Dieser Roman spielt zum Beispiel hier in Neu Neapel.«
    Morton nickte und fand, daß er zum ersten Mal an diesem Tag lächelte. »Und was ist die Handlung?« fragte er.
    »Eine einheimische Erbin«, sagte der Leutnant, »gerät in den Strudel des Krieges und verliebt sich in einen Soldaten von der Erde – der ist in Wirklichkeit natürlich ein Millionär, ließ sich aber als gewöhnlicher Soldat anwerben, weil er ein abenteuerlustiger Typ ist; und sie war schon immer gegen den Krieg.«
    Morton versuchte sich das vorzustellen und konnte es nicht; das Ganze roch sehr nach rührseligem Kitsch und künstlich aufgeblasenen seelischen Konflikten, durch die das unvermeidliche Happy-End von Anfang an tröstlich durchschimmerte. Aber wahrscheinlich war solches Zeug gefragt, und Bray schrieb es vielleicht nur, weil er gemerkt hatte, daß Anspruchsvolles schwerer zu verkaufen war. Dann versuchte Morton sich vorzustellen, wie der sonst so nüchterne und tatkräftige Leutnant Bray dasaß und seinem Gehirn sentimentalen Schwulst abrang. Aber das konnte er erst recht nicht. Er lehnte sich zurück und sagte: »Warum schreiben Sie nicht über die Arbeit, die wir hier tun?«
    Leutnant Bray seufzte. »Die Frage höre ich oft. Aber wer will so etwas lesen? Das wäre nicht mehr unterhaltend und entspannend, und wenn man die Verleger reden hört, dann ist Unterhaltung und Entspannung alles, was die Leute heutzutage haben wollen. Was Sie und ich hier versuchen – die Armee der Erdföderation aus diesem Krieg herauszubringen und einen Frieden zu vermitteln –, ist kein dankbarer Stoff. Wir wissen recht gut, daß die Irsk alle Menschen auf Diamantia umbringen werden, wenn wir nicht mehr da sind. Nein, ich hoffe nur, daß ich dieses Manuskript verkaufen kann, bevor das passiert.«
    »Es gibt keinen Beweis für die Annahme, daß die Irsk irgend jemanden massakrieren werden«, sagte Morton.
    Das war die offizielle Leseart, und daß er sie vertrat, war eine Art mechanischer Pflichterfüllung für ein Mitglied der Verhandlungsdelegation.
    Bray machte ein gefährliches Manöver im dichten Verkehr, aber er brachte es fertig, die Fahrbahn zu wechseln und den Wagen am Straßenrand zu parken. Dann blieb er in steifer und angespannter Haltung hinter dem Lenkrad sitzen und zwinkerte angestrengt.
    Morton beobachtete ihn verblüfft. Bray schien unter der gleichen Störung zu leiden wie er selbst. Als der Leutnant sich erholt hatte, fragte Morton: »Was ist los? Fühlen Sie
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