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Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Titel: Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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einer jubelnden Menge glanzvolle Reden hielt. Mitunter fühlte sich Trey stark genug, um den Bildschirm anzuschreien: »Ach ja? Und was bekommen wir nicht zu sehen? Wie viele Menschen sind heute verhungert?« Die meiste Zeit aber saßen sie stumm da und zitterten beim Anblick von Krakenaurs geifernder Gestalt, bis sich einer von ihnen ein Herz nahm und den Fernseher abschaltete.
    Trey wusste, dass seine Freunde diese Zeit brauchten, um zu genesen und sich zu erholen. Vielleicht brauchte er sie auch. Er ertappte sich dabei, dass er auf die spärlich hereintröpfelnden Neuigkeiten merkwürdig reagierte. Es dauerte zwei oder drei Tage, ehe er sich bei Mr Hendricks nach seinen Mitschülern erkundigte.
    »Ich weiß ja, dass sie nicht draußen herumspringen und Krach machen würden«, sagte er. »Aber es geht ihnen doch gut drüben, oder nicht?«
    Mr Hendricks seufzte schwer.
    »Nein«, sagte er. »Nachdem die Regierung gestürzt wurde . . . und die Bevölkerungspolizei die Macht übernommen hat . . . wurden alle Schulen geschlossen. Vorübergehend,haben sie gesagt. Dann sind sie gekommen und haben alle meine Schüler in Arbeitslager abtransportiert. Auch die arbeitsfähigen Lehrer haben sie mitgenommen . . .«
    Trey konnte Mr Hendricks nur entsetzt anstarren.
    »Vermutlich hat mich mein Rollstuhl gerettet«, berichtete Mr Hendricks weiter. »Das und der Garten, den Lee zusammen mit den Schülern im letzten Frühjahr angelegt hat.«
    Da begriff Trey, dass alle fort waren und Mr Hendricks von der Bevölkerungspolizei zurückgelassen worden war, um zu sterben. Sie wussten nicht, dass er genug Nahrung hatte, um den kommenden Winter zu überleben – genug selbst für neun weitere Personen.
    Trey fragte nicht weiter. Er wandte sich ab und setzte sich zu Lee, um weiter fernzusehen.
    Einige Tage später verkündete Mrs Talbot, dass sich ihr Mann vollständig erholen würde.
    »Er sitzt aufrecht im Bett und spricht völlig klar«, schwärmte sie. »Es ist ein Wunder.«
    Trey nickte nur, für Freude ebenso unempfänglich wie für Angst oder Schmerz.
    An diesem Abend sprach Mrs Talbot Trey im Flur vor Mr Talbots Zimmer an.
    »Er möchte dich gern sehen«, sagte sie.
    »M-mich?«, stammelte Trey. »Sind Sie sicher, dass er nicht Lee sehen will?«
    »Nein«, sagte Mrs Talbot und mit einem Anflug ihrer alten Munterkeit schüttelte sie den Kopf. »Er hat ausdrücklich nach dir verlangt.«
    Trey folgte Mrs Talbot in das Krankenzimmer ihres Mannes.Die Veilchen um Mr Talbots Augen schimmerten inzwischen in trübem Gelb, aber immerhin konnte er die Augen jetzt aufmachen. Dort, wo sich keine Blutergüsse befanden, wirkte sein Gesicht weißer als der Kissenbezug.
    »An einige Dinge erinnere ich mich nicht mehr«, krächzte Mr Talbot. »Ich weiß noch . . . dass du am letzten Tag zu mir gekommen bist. Du standest vor meiner Tür, als sie bereits im Haus waren und mich mitnehmen wollten. Warum? Warum bist du gekommen? Was war . . . so wichtig?«
    »Die Grants«, sagte Trey. »Sie   –« Er brach ab. Er konnte einem Mann, der selbst nur mit knapper Not dem Tod entronnen war, nicht sagen, dass seine beiden besten Freunde tot waren.
    »Theo hat es mir erzählt«, sagte Mr Talbot. Er ließ sich in die Kissen zurückfallen. »War das alles?«
    »Nein«, hätte Trey am liebsten gesagt. »Wir hatten schreckliche Angst und wollten, dass Sie sich um uns küm mern und alles richten.« Doch er wusste, dass das jetzt nicht mehr möglich war. Mr Talbot war nicht mehr die allmäch tige , allwissende Leitfigur. Er war ein geschlagener, ernsthaft verwundeter Mann, der sich in einem kleinen, abgelegenen Unterschlupf im Bett verkrochen hatte. Wenn ihn die Bevölke rungspolizei jetzt fand, würde sie ihn wahrscheinlich töten.
    »Ich wollte Ihnen die Papiere übergeben, die ich in Mr Grants geheimem Büro gefunden habe«, sagte Trey stattdessen achselzuckend.
    Bei dieser Neuigkeit schien eine Veränderung mit Mr Talbot vor sich zu gehen. Er richtete sich kerzengerade auf, als sei er gerade auf wunderbare Weise genesen.
    »Das wolltest du tun? Und hast du sie noch?«, fragte er.
    Trey hatte die Papiere aus dem Pritschenwagen geholt und in sein Flanellhemd gesteckt, von dort waren sie in seine erste Polizeiuniform gewandert und, nachdem er in Nezeree geduscht und sich umgezogen hatte, in die zweite. Doch im Grunde hatte er seit jenem Tag in der Limousine keinen Blick mehr auf die Dokumente geworfen. Zusammen mit dem Fax des Lagerkommandanten steckten sie
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