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Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Titel: Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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vermutlich immer noch in der Uniform, die zerknüllt und vergessen in einer Ecke seines Zimmers lag, wohin er sie mit einem Fußtritt befördert hatte.
    »Ich denke schon«, sagte er.
    »Kannst du sie holen? Jetzt gleich?«, bat Mr Talbot begierig.
    »Sicher«, antwortete Trey.
    Er ging und holte das Bündel Papiere. Nachdem er die Falten und Eselsohren glatt gestrichen hatte, reichte er sie Mr Talbot.
    »Es sind nur Finanzbelege«, sagte er niedergeschlagen. »Mr Grant hat Ihnen Geld geschuldet, als er starb.«
    »Nein«, sagte Mr Talbot. »Es sind Codes. Jede dieser Zahlen steht für ein drittes Kind mit einem falschen Ausweis. Grant dachte, ich hätte unter der Hand ein kleines Schwarzmarktgeschäft betrieben. Er vermutete, dass wir uns als Geldwäscher betätigen; selbst er kannte die Wahrheit nicht. Aber wenn Krakenaur diese Papiere gefunden hätte . . . wenn die Bevölkerungspolizei es geschafft hätte, sie zu entschlüs seln . . . dann hätte für niemanden von uns noch Hoffnung bestanden.«
    Trey betrachtete die Dokumente plötzlich mit völlig anderen Augen. Er musste daran denken, dass er sie am liebsten in den Proviantsack gesteckt hätte, den die Bevölkerungspolizei später konfisziert und den der Mob in Stücke gerissen hatte. Er dachte daran, dass er mit dem Gedanken gespielt hatte, sie der Bevölkerungspolizei für Marks Freilassung zu übergeben, und dass er erwogen hatte sie im Gefängnis von Nezeree zurückzulassen. Es grenzte fast an ein Wunder, dass es ihm gelungen war, sie sicher zu Mr Talbot zu bringen.
    »Und diese hier habe ich aus Ihrem eigenen Haus mitgebracht«, sagte er und hielt auch die anderen Dokumente hoch. »Draußen im Wagen habe ich noch mehr. Sind das auch Codes?«
    »Nein. Das ist nur eine Einkaufsliste«, sagte Mr Talbot und deutete auf ein Blatt. »Und das hier ist ein Mathematik-Arbeitsblatt, das meine Tochter als kleines Mädchen ausgefüllt hat . . .« Sein Blick wurde weich. Trey sah auf die Zahlenreihen hinab, über denen in krakeliger Schrift »Jen« geschrieben stand. »Danke, dass du es mir mitgebracht hast«, murmelte Mr Talbot.
    Mit Tränen in den Augen sah ihm Mrs Talbot über die Schulter. Trey fühlte sich etwas fehl am Platz in diesem intimen Moment.
    Vielleicht reagiert Mom zu Hause genauso, wenn sie alte Blätter findet, die ich beschrieben habe
, dachte er. Die Tatsache, dass sie ihn fortgeschickt hatte, bedeutete noch lange nicht, dass sie ihn nicht trotzdem vermisste.
    Es bedeutete nicht, dass sie ihn nicht liebte.
    »Was wollen Sie jetzt mit den Papieren machen?«, fragteTrey, um den Frosch im Hals loszuwerden. »Den Dokumenten mit den geheimen Codes, meine ich?«
    Mr Talbots Gesicht wurde wieder hart.
    »Sie vernichten«, sagte er. »Wir werden sie im Kamin verbrennen, dann besteht keine Gefahr mehr, dass die Bevölke rungspolizei sie findet.«
    »Wir könnten es ganz feierlich tun«, schlug Mrs Talbot vor.
    »Ein feierlicher Akt des Widerstands – das gefällt mir.«
    »Aber   –«, sagte Trey.
    »Aber was?«, fragte Mr Talbot.
    Trey brachte nur ein Kopfschütteln zustande. Er wusste selbst nicht genau, warum er widersprechen wollte. Außer, dass er fand, man solle Wunder nicht zerstören.
    Reicht es denn nicht, zu wissen, dass die Bevölkerungspoli
zei
die Papiere nie bekommen wird?
, fragte er sich.
    Mrs Talbot lieh sich von Mr Hendricks einen zweiten Rollstuhl und schob Mr Talbot ins Wohnzimmer. Mr Hendricks rief die anderen zusammen. Lee machte Feuer im Kamin.
    Mrs Talbot hielt die Papiere hoch über ihren Kopf.
    »Danach würdest du dir die Finger lecken, Aldous Krakenaur«, erklärte sie schadenfroh. »Hier sind einhundert Kinder, denen du nie mehr etwas anhaben kannst.«
    »Niemand wird je erfahren, wer sie sind«, fügte Mr Talbot vom Rollstuhl aus feierlich hinzu.
    Trey sah, wie Mrs Talbot die Hand mit den Papieren zu den Flammen hinabsinken ließ. Die Worte
Niemand wird je erfahren, wer sie sind
, hallten ihm durch den Kopf.
    »Doch, das werden sie«, murmelte er unhörbar.
    Vorsichtig hielt Mrs Talbot das erste Blatt ins Feuer. DieFlammen begannen an den Rändern zu lecken. In wenigen Sekunden würden sie die Codes in Asche verwandelt haben.
    Trey sprang vom Sofa auf und riss das Blatt aus dem Feuer. Die Flammen fraßen sich weiter an den Rändern entlang und arbeiteten sich gierig zu den alles entscheidenden Zahlen in der Blattmitte und zu Treys Fingern vor. Er ließ das Blatt auf den Teppich fallen und trat das Feuer aus.
    Alle starrten
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