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Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Titel: Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Packen Papiere in der Hand hielt, den er vomSchreibtisch eines toten Mannes genommen hatte. Als er hinabsah, entdeckte er eine dünne Blutspur an seiner Hand, die sich in scharfem Kontrast von dem schneeweißen Papier abhob.
    Schon packte Trey die Panik. Hatte ihn jemand angeschossen? War er in noch größerer Gefahr, als er geglaubt hatte? In seinen Ohren rauschte es und er meinte vor Angst ohnmäch tig werden zu müssen. Doch alles blieb ruhig und nach einem kurzen Moment begann er wieder klarer zu denken.
    Er betrachtete das Blut noch einmal. Es war kaum mehr als ein Tropfen.
    Okay
, beruhigte sich Trey.
Du hattest gerade eine Panikattacke, weil du dich an einem Blatt Papier geschnitten hast. Das behältst du besser für dich.
    Drinnen wäre so ein Schnitt keine große Sache gewesen. Aber im Freien – im Freien reichte die pure Notwendigkeit, atmen zu müssen, um ihn in Panik zu versetzen.
    Er zwang sich trotzdem weiterzuatmen. Und unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft überwand sich Trey einen Schritt vorwärts zu gehen. Dann noch einen und noch einen.
    Es war ein langer Weg von der Straße zu Mr Talbots Haus und ungünstigerweise hatte der Chauffeur auch noch ein wenig abseits geparkt, unter einer Baumgruppe, die mehr oder weniger verhinderte, dass das Auto vom Haus aus zu sehen war. Trey erwog kehrtzumachen, wieder ins Auto zu steigen und den Chauffeur anzuweisen näher heranzufahren – direkt vor die Veranda der Talbots zum Beispiel. Aber dafür hätte er mehrere Schritte zurücklaufen müssen, wo er doch schon so weit gekommen war.
    Fast einen ganzen Meter.
    Ein Teil seines Verstandes wusste, dass er sich lächerlich verhielt – wie ein dummes Kind, ein Feigling, ein angstgebeutelter Idiot.
    Das ist nicht meine Schuld
, verteidigte sich Trey innerlich
. Das ist alles . . . Konditionierung. Ich kann schließlich nichts dafür, wie man mich aufgezogen hat.
Das war die Untertreibung des Jahres. Denn in seinem dreizehnjährigen Dasein hatte Trey so gut wie keinen Aspekt seines Lebens selbst beeinflussen können. Er war ein illegal geborenes drittes Kind, ein Schattenkind, dem die Regierung das Recht auf Leben absprach. Also hatte man ihn versteckt, in einem einzigen Zimmer, vom Tag seiner Geburt bis zu seinem zwölften Lebensjahr. Und dann, als er fast dreizehn und sein Vater gestorben war . . .
    Du hast keine Zeit für solche Grübeleien
, rief Trey sich zur Ordnung.
Lauf weiter
.
    Er ging einige Schritte vorwärts, denn jetzt trieb ihn ein brennender Zorn, den er einfach nicht abzuschütteln vermochte. Seine Gedanken eilten zurück zu einer Multiplechoice-Testfrage, die er sich seit mehr als einem Jahr immer wieder stellte:
Wen hasst du? a) ihn, b) sie oder c) dich selbst?
Weitere Wahlmöglichkeiten hinzuzufügen hatte keinen Zweck:
d) alle oben Genannten, e) a und b, f) a und c, oder g) b und c?
Denn dann verwandelte sich die Frage in:
Wen hasst du am meisten?
    Hör auf damit!
, befahl sich Trey.
Tu einfach so, als wärst du Lee.
    Treys Freund Lee war genau wie er ein illegales drittesKind, aber Lee war auf dem Land aufgewachsen, auf einer abgelegenen Farm, und hatte daher viel Zeit im Freien verbringen können. In Treys Augen war er fast normal aufgewachsen. Ebenso sehr wie Trey es hasste und fürchtete, im Freien zu sein, sehnte sich Lee danach.
    »Wie hältst du das nur aus?«, hatte Trey ihn einmal gefragt. »Warum hast du keine Angst? Denkst du nie daran, wie gefährlich es ist?«
    »Ich glaube nicht«, hatte Lee mit einem Achselzucken geantwortet. »Wenn ich draußen bin, sehe ich den Himmel, das Gras und die Bäume und denke an nichts anderes, glaube ich.«
    Trey betrachtete den Himmel, das Gras und die Bäume um sich herum und konnte nichts anderes denken als,
Lee sollte an meiner Stelle hier sein und zu Mr Talbots Haus hinüber
laufen
. Bis vor zehn Minuten hatte Lee noch bei Trey und Nina, Joel und John im Auto gesessen. Doch dann hatte er sich und Smits, einen anderen Jungen, vom Chauffeur an einer Kreuzung mitten in der Pampa absetzen lassen und gesagt: »Ich muss Smits in Sicherheit bringen.«
    Trey vermutete, dass Lee den Jungen zu sich nach Hause brachte, auf die Farm seiner Eltern, aber darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Es war zu gefährlich. Allein der Gedanke daran war gefährlich.
    Außerdem machte die Vorstellung Trey neidisch, dass Lee immer noch ein Zuhause hatte, wo er hinkonnte, und Eltern, die ihn liebten; Trey dagegen hatte all das nicht mehr.
    Aber wenn ich
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