Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
 
     
    Der Achte Futurologische Weltkongreß fand zu Nounas in Costricana statt. Ehrlich gesagt, ich wäre nie hingereist, aber Professor Tarantoga deutete an, alle Welt erwarte es von mir. Auch sagte er (was mir einen Stich gab), Astronautik sei heute eine Form der Erdflucht. Wer die Sorgen der Erde satt habe, fliege in die Galaxis und gedenke so das Ärgste zu versäumen. In der Tat lugte ich zumal früher auf dem Heimflug von meinen Reisen oft angstvoll durchs Fenster, gewärtig, statt des Erdballs ein Ding wie eine Bratkartoffel vorzufinden. Also sträubte ich mich kaum; ich erwähnte nur, daß ich von Futurologie nichts verstehe. Tarantoga erwiderte, fast niemand verstehe etwas von Schiffspumpen, doch beim Ruf »Alle an die Pumpen« eile jeder an seinen Platz. Der Vorstand der Futurologischen Gesellschaft hatte Costricana zum Tagungsland gewählt, weil die Übervölkerungs-Springflut und ihre Bekämpfung das Thema bildeten. Costricana hat derzeit den welthöchsten Geburtenüberschuß; unter dem Druck solcher Wirklichkeit sollten wir fruchtbarer debattieren. Nur Lästerer hoben hervor, daß just in Nounas ein neuerbautes Hotel des Hilton-Konzerns meistens leer stand, wohingegen zur Tagung außer den Futurologen ebenso viele Presseleute anreisen sollten. Da sich im Rahmen der Debatten das Hotel in nichts aufgelöst hat, kann ich jetzt ruhigen Gewissens und ohne Furcht vor dem Verdacht der Schleichwerbung feststellen: Es war ein ausgezeichnetes Hilton! In solchen Dingen hat mein Urteil besonderes Gewicht. Ich bin nämlich der geborene Schwelger. Nur aus Pflichtgefühl entsage ich allem Komfort und erwähle mir die astronautische Plackerei.
    Das costricanesische Hilton schoß hundertsechs Stockwerke hoch aus einem flachen vierstöckigen Sockel empor. Auf den Dächern dieses niedrigen Teils gab es Tennisplätze, Schwimm und Sonnenbäder, Go-Kart-Rennstrecken, Karusselle, die zugleich als Roulett dienten, und eine Schießbude, wo jeder nach Herzenslust und freier Wahl auf ausgestopfte Personen schießen konnte (Sonderanfertigungen wurden binnen vierundzwanzig Stunden geliefert). Es gab auch eine halbrunde Konzert-Arena mit einer Anlage, die Tränengas ins Publikum sprühen konnte. Mir wurde ein Appartement im hundertsten Stockwerk zugewiesen. Von dort aus sah ich nichts als die Oberseite der bläulich-braunen Smogwolke, die das Stadtbild verhüllte. An der Hotelausstattung befremdete mich manches, zum Beispiel in einer Ecke des Jaspis-Badezimmers eine drei Meter lange Eisenstange, im Schrank eine Tarnpelerine in Schutzfarben und unter dem Bett ein Sack Zwieback. Im Bad, neben den Handtüchern, hing in dicker Rolle ein typisches Kletterseil. Und als ich erstmals den Schlüssel ins Yale-Schloß steckte, bemerkte ich an der Tür ein kleines Schild mit der Aufschrift: »Die Hilton-Direktion bürgt dafür, daß diese Räumlichkeit keine Bomben enthält.«
    Bekanntlich gibt es heutzutage zweierlei Wissenschaftler: ortsfeste und fahrende. Die ortsfesten forschen wie eh und je, die fahrenden aber besuchen alle erdenklichen internationalen Konferenzen und Kongresse. Der Wissenschaftler dieser zweiten Gruppe ist leicht zu erkennen: am Rockaufschlag trägt er stets eine kleine Visitenkarte mit dem Namen und dem akademischen Grad, in der Tasche aber die Zeitpläne der Fluglinien. Er selbst verwendet nur Gürtel ohne Metallschnalle, und auch seine Mappe hat ein Schnappschloß aus Kunststoff, alles nur, um nicht grundlos die Alarmsirene des Geräts auszulösen, das auf dem Flughafen die Reisenden durchleuchtet und Hieb- und Schußwaffen auffindet. Die Fachliteratur studiert ein solcher Wissenschaftler in den Bussen der Fluglinien und in Wartesälen, Flugzeugen und Hotelbuffets. Da ich aus begreiflichen Gründen viele in den letzten Jahren aufgekommene Eigenheiten der irdischen Kultur nicht kannte, erregte ich Flugplatzalarm in Bangkok, in Athen und in Costricana selbst. Dem konnte ich nicht rechtzeitig vorbeugen, denn ich habe sechs Metallplomben (aus Amalgam). In Nounas selbst wollte ich sie gegen Porzellan auswechseln lassen, doch unvermutete Ereignisse vereitelten dies. Den Sinn des Stricks, der Stange, des Zwiebacks und der Pelerine erklärte mir leutselig ein Mitglied der amerikanischen Futurologendelegation: das Hotelgewerbe unserer Zeit treffe eben Vorsichtsmaßnahmen ehemals unbekannter Art. Jeder solche Gegenstand im Appartement erhöhe die Überlebensquote pro Hotelbett. Aus Leichtsinn achtete ich zuwenig auf diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher