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Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Schattenkinder - im Zentrum der Macht

Titel: Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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1.   Kapitel
    N a toll
, dachte Trey.
Da tue ich einmal in meinem Leben etwas Mutiges und schon heißt es: ›Habt ihr irgendetwas Gefährliches zu erledigen? Dann schickt Trey. Er macht das schon.‹ Weiß denn niemand mehr, dass ich mit zweitem Vornamen ›Feigling‹ heiße?
    Im Grunde gab es auf der ganzen Welt nur zwei Menschen, die wussten, wie Trey wirklich hieß, und einer davon war tot. Aber Trey hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn er steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. Er hatte gerade mit angesehen, wie zwei Menschen starben und andere in Gefahr geraten waren. Vielleicht war auch er in Gefahr gewesen oder er war es noch. Er und seine Freunde hatten den Schauplatz verlassen, wo Tod, Chaos und Verwüs tung herrschten, waren zu einem völlig Unbekannten ins Auto gesprungen und davongebraust, um Hilfe zu holen. Sie waren die ganze Nacht durchgefahren und soeben hatte der Wagen vor einem wildfremden Haus angehalten, in einer wildfremden Gegend, in der Trey noch nie gewesen war.
    Und nun erwarteten seine Freunde, dass er sich als Herr über diese Lage erwies.
    »Worauf wartest du noch«, sagte seine Freundin Nina, »steig aus und klopf an die Tür.«
    »Warum tust
du
es nicht?«, erwiderte Trey. Genauso gut hätte er zugeben können, dass er weniger Mut besaß als einMädchen. Weder Mut noch Stolz. Ins Lateinische übersetzt ergäbe das ein gutes Lebensmotto für ihn. Vielleicht
Nulla fortitudo nulla superbia
? Für einen kurzen Moment erlaubte sich Trey in nostalgischen Erinnerungen an die Zeit zu schwelgen, als die Übersetzung lateinischer Sprüche noch seine größte Herausforderung dargestellt hatte.
    »Weil«, sagte Nina. »Du weißt schon. Mr Talbot und ich – sagen wir einfach, da werden eine Menge schlechter Erinnerungen in mir wach.«
    »Oh«, sagte Trey. Und wenn er seine Furcht nur ein klein wenig außer Acht ließ, verstand er sie sogar. Mr Talbot, der Mann, zu dem sie geflüchtet waren, hatte Nina einst einer extremen Loyalitätsprüfung unterzogen. Es war notwendig gewesen, darin waren sich alle einig – selbst Nina gab das zu. Aber angenehm war es trotzdem nicht gewesen. Mr Talbot hatte sie ins Gefängnis gesperrt und mit dem Tode bedroht.
    Trey war froh, dass man ihn einer solchen Prüfung nie ausgesetzt hatte. Er würde garantiert durchfallen, das wusste er.
    Wieder sahen sie zu dem klotzigen Ungetüm von Haus hinüber, in dem Mr Talbot lebte. Er war nicht gefährlich, rief Trey sich in Erinnerung. Mr Talbot würde sie retten. Trey, Nina und ein paar ihrer Freunde hatten ihn aufgesucht, um ihre schlechten Neuigkeiten und ihre Verwirrung bei ihm abzuladen. Damit
er
die Sache in die Hand nahm und sie sich nicht selbst darum kümmern mussten.
    Trey schielte nach vorn, wo seine Freunde Joel und John neben dem Fahrer saßen oder, genau genommen, dem »Chauffeur«. Das war ein französisches Lehnwort. Nur dass der französische Originalbegriff –
chauffer
? – sich gar nichtvon »fahren« ableitete. Er bedeutete »erwärmen« oder »erhitzen« oder so etwas Ähnliches, weil Chauffeure früher Fahrzeuge gesteuert hatten, die von Dampfmaschinen angetrieben wurden.
    Nicht, dass das eine Rolle spielte. Warum verplemperte er nur seine Zeit damit, über fremdsprachige Verben nachzudenken? Seine Französischkenntnisse würden ihm im Augenblick nicht im Mindesten weiterhelfen. Er konnte mit ihnen beispielsweise nicht herausfinden, ob er dem Fahrer vertrauen durfte oder nicht. Wie viel einfacher wäre es, wenn er an einem einzigen Wort erkennen könnte, ob er das Risiko eingehen durfte, den Fahrer loszuschicken, um an Mr Talbots Tür zu klopfen, während er, Trey, sicher im Wagen hocken blieb.
    Oder was war mit Joel und John? Zugegeben, sie waren jünger als er und vielleicht noch größere Angsthasen. Sie hatten
noch nie
etwas Mutiges getan. Trotzdem –
    »Trey?«, sagte Nina. »Los jetzt!«
    Sie griff mit der Hand über ihn hinweg und stieß die Wagentür auf. Dann gab sie ihm einen kleinen und so überra schenden Schubs, dass er selbst nicht recht wusste, warum er auf einmal auf seinen eigenen Füßen neben dem Wagen stand.
    Nina zog die Tür hinter ihm zu.
    Trey atmete tief durch. Aus Angst und aus alter Gewohnheit – einer Gewohnheit der Angst oder angsterfüllter Gewohnheit – begannen sich seine Hände zu Fäusten zu ballen und ließen erst wieder locker, als ihn etwas schmerzhaft in die Handinnenflächen schnitt. Er hatte ganz vergessen, dass er immer noch den
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