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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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sie uns lieber gleich sterben«, knurrte Marje.
    Milan drückte sie kurz an sich. »Dafür tun wir das hier. Damit wir nicht sterben. Warte es nur ab, die werden morgen ganz schön Augen machen!«
    »Morgen?«, hakte Marje grimmig nach. »Ich glaube kaum, dass sie das nicht mitbekommen werden. An die Arbeit, bevor sie uns zu früh entdecken!«
    Milan lachte leise. »Mein entschlossenes kleines Mädchen«, murmelte er und kletterte um sie herum, um die Brücke zu betreten.
    Marje begutachtete die dünnen Streben, die an der engsten Stelle der Brücke nur einen Fuß breit waren und keinerlei Geländer oder Halterung besaßen. Der Wasserstand war zwar hoch, aber nun auch wieder nicht so hoch, dass man leicht aus dem Wasser auf die Brücke hätte zurückklettern können.
    Shio summte leise und zog seine Kreise über dem Wasser. Er hielt sich in respektvoller Höhe über der dunklen Tiefe. Marje konnte ihn gut verstehen. Das Wasser wurde unter ihnen so schwarz, dass auch sie Bedenken hatte. Wasser war der Ursprung allen Lebens. Jeder brauchte es, um überleben zu können. Dann mussten doch die mächtigsten Geschöpfe die sein, die im Wasser selbst zu Hause waren.
    Und auch wenn ihre Vernunft ihr sagte, dass in den Zinaden keine Wasserwesen lebten, zumindest keine, wie sie in den alten Sagen und Märchen beschrieben wurden, hatte sie doch einen gewissen Respekt vor tiefen Gewässern und dem Element, von dem sie alle so abhängig waren.
    Zaudernd sah sie zu Milan hinüber, der bereits die gegenüberliegende Seite erreicht hatte. Obwohl die Brücke ihn sicher getragen hatte, zögerte Marje noch immer. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie die filigranen Streben das Gewicht eines erwachsenen Mannes halten konnten.
    Shio schwirrte zu ihr hinab und dimmte sein Licht sanft, um auf ihrer Nase landen zu können, ohne sie zu blenden.
    »Angst vor dem Wasser?«, erkundigte sich Milans spöttische Stimme von der Plattform auf der anderen Seite aus.
    Marje biss sich auf die Unterlippe. »Brauchst du Hilfe?«, versuchte sie betont lässig zu kontern. Sie hasste es, ihm gegenüber eine Schwäche eingestehen zu müssen.
    Milans Silhouette war im grünen Mondlicht kaum zu erkennen. Er stand vor einem riesigen Pult, dessen Schalter und Hebel Marje nur erahnen konnte.
    »Zumindest könnte ich Shio hier gebrauchen«, stellte er fest, und obwohl seine Stimme scherzhaft klang, wusste Marje, dass er es bitterernst meinte. Er konnte die beiden Schleusenhebel nicht allein bedienen. Nur deswegen hatte er überhaupt zugestimmt, dass Marje ihn begleitete.
    »Hab keine Angst.« Sie spürte sein Lächeln, obwohl sie sein Gesicht nur undeutlich erkennen konnte. »Ich pass schon auf dich auf.«
    Mit zusammengebissenen Zähnen, um sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen, trat Marje vorsichtig auf die Brücke. Auf dem Glas, aus dem die Brücke geformt war, fanden die Sohlen ihrer glatten Schuhe kaum Halt. Sie breitete die Arme aus und balancierte bis zur Mitte. Shio tanzte unruhig um sie herum, sein Licht warf nervös zitternde Schatten auf das Wasser.
    Marjes Blick fiel durch das Glas. Wie ein schwarzer Schlund gähnte das Wasser unter ihr.
    »Nicht nach unten sehen! Schau mich an«, tönte Milans Stimme vom anderen Ende der Brücke.
    Sie gab sich einen Ruck und dann verbannte sie einfach alle Furcht und Angst und Zweifel aus ihren Gedanken und rannte los. Einen Moment später stolperte sie in Milans ausgebreitete Arme. »War gar nicht so schlimm, oder?« Er lächelte, wohl wissend, dass ihr Höhen schon immer Schwierigkeiten gemacht hatten.
    Shio setzte sich indes auf einen Schaltknüppel in der Mitte des Pults und beleuchtete unzählige Hebel und Schalter.
    »Was müssen wir tun?«, fragte Marje ratlos beim Anblick der vielen Möglichkeiten.
    Milan deutete auf einen Hebel, der rot glänzte. Daneben waren Zahlenkombinationen und Buchstaben ins Holz eingelassen. Er selbst griff zu dem schwarzen Hebel, der gut zwei Schritt weiter an der anderen Seite des Pultes angebracht war. Ein einzelner Mann hätte beide Schalter tatsächlich nicht gleichzeitig umlegen können, aber auf Milans Zeichen hin war es zu zweit ein Kinderspiel.
    Einen Augenblick lang geschah nichts und sie warteten mit angehaltenem Atem. Dann erhob sich ein gurgelndes Geräusch aus der Tiefe des Speichers und das Wasser geriet in Bewegung. Ein Zittern lief durch den Kontrollraum und ließ die Brücke erbeben. Dann bildete sich ein Strudel in der Mitte des Speichers.
    Der Wasserstand
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