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Sax

Sax

Titel: Sax
Autoren: Adolf Muschg
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kam. Er bezahlte, das Verhältnis blieb verschwiegen, doch war er dem Kind einen Gefallen schuldig und stellte Hermann, als er fast zu einem Riesen herangewachsen war, das Soussol als Werkstatt zur Verfügung; erwolle sich sein Ingenieursstudium mit dem Reparieren von Fahrrädern verdienen. Aber kaum hatte er sich eingenistet, trat er der Partei der Arbeit bei, und von Studium war keine Rede mehr. Aber er hatte keine unfreundliche Art, war auch einmal für eine kostenlose Reparatur im Haus zu haben, und sein Geschäft, namentlich mit Rennrädern, florierte.
    Nun besorgte er seinen politischen Freunden Licht und Ton für ihr Fest. Aber mit dem Windspiel, das Marybel von ihrem Japanflug mitgebracht hatte, kam er nicht zurecht. Als er für die Halterungen der Stange Löcher in die Wand des Holzturms bohren wollte, widerstand sie wie Eisen. – Ich hole den Schlagbohrer, sagte er, als Peter Leu hinzutrat und schroff erklärte: In diese Wand kommt mir kein Loch! – Peter Leu blieb beim Sie, auch wenn sich auf dem Dach jedermann duzte. Da kam Moritz mit einem Zementblock für Sonnenschirme an, den er unten im «Jardin Noir» ausgeliehen hatte. Die Stange paßte genau ins Rohr, und bald blähten sich die Luftgeschöpfe zum Ah und Oh der Zuschauer tanzend im Wind.
    Kann ich etwas für Sie tun? – Marybel stand vor Peter Leu, mit einem Glas Rotwein in der Hand. Hatte ihm die wildfremde Person gleich den Tinnitus angesehen? Mit einer Grimasse schüttelte er den Kopf, dabei kamen ihm Tränen.
    Die Mansarde war mit Gartenmöbeln belegt, Körbe mit Brot oder Früchten standen herum, ein Grill rauchte in der Ecke; Kisten und Kartons stapelten sich unter dem Vordach. An einem freien Tisch besorgten Vera und die Lehrtochter in weißen Schürzen den Ausschank. Die Gesellschaft lagerte sich in Gruppen und begann zu singen, wenn der Hippie – sie nannten ihn «Tövet» – sein versonnenes Klimpern in eine bekannte Melodie übergehen ließ.
    Peter Leu sah zu. Der junge Schinz, Jacques, beherrschte die Szene. Seine lange Gestalt, die etwas vorgebeugt ging und mit zurückgelegtem, leicht schiefem Kopf, gebot Aufmerksamkeit, ohne daß er sie suchte. Die Ähnlichkeit mit dem Vater war nicht zu verkennen, nur war sein Gesicht hagerer, sogar eine Spur eingefallen,während der Senior immer so aussah, als käme er eben aus der Maske. Das also war der Anarchist. Dagegen war Moritz Asser ein Soldat, der seinen kurzen Atem hinter einem ebenso kurzen Lachen versteckte. Der junge Mann konnte in einem Kibbuz gearbeitet haben, aber er hatte zugleich etwas Geheimdienstliches. Tanzen konnte er auch, denn plötzlich waren Asser und Vera ein Paar. Er hatte sie vom Schanktisch geholt, zog ihr die Schürze über den Kopf und ließ das Tuch neben seiner Hüfte hüpfen, wie ein Torero die Muleta. Vera senkte ihre Dauerwelle, um nach dem Tuch zu stoßen, da riß er es hoch, schwenkte es im Kreis, und die graublonde Vera wiegte sich wie ein Vamp.
All you need is love
. Am Ende band er sich die Schürze selbst um, nahm ihren Platz an der Theke ein und lachte ihr Mut zu, als sie allein weitertanzte.
    Wie machen sie es? hatte sich Peter Leu schon auf dem Schulhof mit brennenden Augen gefragt, wenn er die andern Kinder selbstvergessen spielen sah.
    Aber auch Hubert Achermann tanzte nicht. Er debattierte mit dem Fabrikanten Dörig am Geländer. Dörig hatte mit dem Patent einer Wegwerfwindel für Erwachsene ein Vermögen gemacht und die Arbeiter am Gewinn beteiligt. Er bekannte sich zu seiner Mission, das Problem Inkontinenz – eine Volkskrankheit der alternden Gesellschaft – von Scham und Schande zu befreien, und fühlte sich verpflichtet, einer Illustrierten auch sein eigenes Schicksal zu eröffnen. Er hatte Blasenkrebs. Er war fünfzig, ein kleiner Mann, immer noch in Jeans, mit einer schieferfarbenen Löwenmähne und lebhaft wandernden Augen. Er stützte die Ellbogen aufs Geländer und faltete die Hände. Achermann wirkte höflich distanziert, ein wenig schüchtern. Seine hellen Augen waren ungleich offen und auffallend asymmetrisch. Bereits wich das dunkelblonde Haar von seiner Stirn zurück und ließ sie zerbrechlich aussehen.
    Peter Leu stand geistesabwesend, als die Frau im schwarzen Trikot auf ihn zutrat.
    Wer sind Sie?
    Leu erschrak, denn in diesem Augenblick wußte er es nicht.
    Wollen wir tanzen? fragte Sidonie.
    Bist du bereit für ein Mandat? fragte Reinhold Dörig.
    Von dir? fragte Hubert Achermann.
    Ich will die Regierung verklagen. Über der
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