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Ferien mit Biss

Ferien mit Biss

Titel: Ferien mit Biss
Autoren: Franziska Gehm
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Zum Wohle der
Passagiere
    L udovic Lobond saß auf dem Flughafen Bindburg in der Abflughalle, Terminal 2, Gate 20 bis 35. Er hatte keinen Koffer bei sich, kein Handgepäck und keine Zahnbürste. Noch nicht einmal eine Wechselunterhose. Er hatte auch kein Flugticket. Ludovic Lobond war kein Tourist. Obwohl er es manchmal gerne gewesen wäre. Vor allem im Winter. Dann sah er wehmütig zur Fluganzeigentafel, auf der Orte wie Buenos Aires, Kapstadt oder Bangkok standen.
    Ludovic Lobond arbeitete am Flughafen. Auf dem kleinen Schild an seinem dunkelblauen Jackett stand: TAROM, Romanian Air Transport. Daneben war auf blauem Untergrund ein weißes Flugzeug in einem Kreis abgebildet. Ludovic Lobond saß am Schalter Nummer 331. Er war zusammen mit seiner reizenden Kollegin Florentina vom Schalter 332 und dem nicht ganz so reizenden Kollegen Miodrag vom Schalter 333 für den Check-in der rumänischen Fluggesellschaft zuständig. Später würden sie den Schalter schließen, mit dem Boarding der Passagiere beginnen und selbst die Boeing 737 besteigen. Um 11:35 Uhr ging der Flug nach Sibiu. Ludovic Lobond kam nicht aus Sibiu, sondern aus Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Aber er fand, Sibiu war eine schöne Stadt. Sie hatte viele alte Häuser und Kirchen, ein Nationaltheater, eine Staatsphilharmonie, das älteste Museum Rumäniens und einen Bürgermeister, der nicht ganz so alt war. Sibiu lag am Fluss Zibin, in der Nähe der Südkarpaten und ...
    ... mitten in Transsilvanien.
    Ludovic Lobond beugte sich schnell unter den kleinen Schaltertisch. Dort stand seine Buttermilch. Er nahm einen kräftigen Schluck, richtete sich wieder auf und strich sich routiniert die Buttermilchreste vom dichten Schnauzbart. Dann rückte er seine dunkelblaue Krawatte zurecht und setzte ein Lächeln auf. So hatte er es bei der Schulung »Kunden glücklich machen" gelernt. Viel lieber hätte er seine Sonnenbrille mit dem goldenen Rand aufgesetzt, die obersten Knöpfe am Hemd geöffnet und statt Buttermilch einen Wodka Martini getrunken. Geschüttelt, nicht gerührt. Viel lieber hätte Ludovic Lobond einfach nur Bond geheißen. Ludov Bond. Aber das würde wohl ein Traum bleiben. Genau wie die Luxusjacht, auf die er seit zwanzig Jahren sparte.
    Ludovic Lobond kniff die Augen zusammen, als er die nächsten Passagiere auf den Schalter zukommen sah. Es war kein Einzelreisender, es war kein Pärchen, es war auch keine Kleinfamilie. Auf Schalter Nummer 331 rollten zwei Erwachsene und drei Mädchen zu, die 12 oder 13 Jahre alt sein mochten. Eins der Mädchen saß im Schneidersitz auf einem Berg aus Koffern, der auf einem Gepäckwagen lag, den die anderen beiden Mädchen schoben. Das Mädchen auf dem Kofferberg hatte schwarze Haare und eine Frisur, die Ludovic Lobond an den stacheligen Massageball seiner Schwestern erinnerte. Ihre lilafarbene Strumpfhose hatte Löcher, die schweren Schnürschuhe sahen eine Nummer zu groß aus und auf ihrem schwarzen T-Shirt prangte eine Knoblauchknolle, die mit zwei dicken roten Balken durchgekreuzt war.
    Das Mädchen, das auf der linken Seite schob, hatte eine lederne Fliegerhaube auf. In der Haube steckte seitlich eine gelb-weiße Blüte. Unter der Haube quollen rotbraune Haare hervor. Das Mädchen trug ein langes Kleid, das aus dem Mittelalter hätte stammen können. Ihre Schuhe waren so spitz, dass Ludovic Lobond sich fragte, ob das Mädchen damit durch den Sicherheitscheck kam.
    Das Mädchen auf der rechten Seite des Gepäckwagens hatte lange blonde Haare und stechend blaue Augen. Im Vergleich zu den anderen beiden Mädchen sah es ziemlich normal aus. Bis auf die Arme, auf denen seltsame Gestalten gemalt waren. Oder tätowiert? Ludovic Lobond war sich nicht sicher. Bei den Jugendlichen von heute wusste man nie.
    »Boi motra!«, sagte der große, schlanke Mann, der den anderen Gepäckwagen geschoben hatte. Er langte mit dem Arm über den Schalter und klopfte Ludovic Lobond zweimal hintereinander auf den Kopf.
    Ludovic Lobond saß stocksteif da und starrte den Mann an. Dann schielte er kurz nach links zu Florentina. Dann nach rechts zu Miodrag. Sie waren beschäftigt. Sie hatten keine Passagiere, die zur Begrüßung Kopfnüsse verteilten. Ludovic Lobond atmete tief durch. Auch das hatten sie bei der Schulung zur Kundenzufriedenheit gelernt. Vielleicht, überlegte Ludovic Lobond, waren das keine gewöhnlichen Passagiere, sondern verdeckte Ermittler, die im Auftrag von TAROM die Kundenfreundlichkeit der Mitarbeiter testeten.
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