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Sax

Sax

Titel: Sax
Autoren: Adolf Muschg
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Raum. Ich miete den vierten Stock dazu, für diese Genossen, damit Sie
arbeiten
können. Dreitausend im Monat. Und den Dachboden hier oben reservieren wir für Parties wie heute. Schlaf drüber, und morgen telefonieren wir.
    Als sie wieder am Geländer standen, sagte Hubert: Das hätten wir vorher besprechen müssen, Reinhold.
    Leu ist pleite. Er hängt am Tropf des Bankiers, und der will das Haus. Aber wenn jemand dieses Haus besetzt, dann
wir.
Ja, ich hätte euch fragen müssen. Aber ihr seid anständig. Das habe ich nicht mehr nötig, verstehst du? Wer die letzten Windeln trägt, ist frei. Es geht um die
Sache
. Oder nicht?
    Als die Glocke der nahen Augustinerkirche elf schlug, begann Jacques zu sprechen, an den Holzturm gelehnt, und allmählich wurde es still.
    Freundinnen, Freunde, sagte er, wir haben ein Stücklein vorbereitet, Sidonie, Hermann und ich. Der Arbeitstitel: «Leben und Aberleben des Herrn von Sax.» Ich widme es meinem Vater, der diesen Abend
ermöglicht
hat, wie man sagt. Ich hoffe, Papa, du sitzt gut.
    Heiterkeit, denn Thomas Schinz hielt Marybel auf dem Schoß; das alte Ledersofa aus dem Kontor von Moische Asser war bereits überbelegt.
    Sie, sehr geehrter Leu, haben uns eine wesentliche Altlast Ihres Hauses verschwiegen. Das «Eiserne Zeit» ist ein Spukhaus. Wennwir das gewußt hätten! Aber der Mietvertrag war schon unterschrieben, als ich – im Antiquariat Rohr – auf dieses Schriftchen gestoßen bin. Hermann, mehr Licht.
    Ein Spot fiel auf die Broschüre in Jacques’ Hand und folgte ihr, als er sie erhob und den Wind darin blättern ließ.
    Zugesteckt hat es mir der unschätzbare Herr Fries, dem nichts entgeht, was in den letzten fünfhundert Jahren zu Münsterburg an Heimlichem oder Unheimlichem das Licht der Welt erblickt – oder dieses Licht gescheut hat. Das Schriftchen erschien nur in kleinster Auflage, und auch diese versuchte der Verfasser nachträglich zu unterdrücken. Ganz ist es ihm nicht gelungen, aber es kostete mich dreißig Franken, die Wahrheit über dieses Haus zu erfahren.
    Der Verfasser ist Ihr Vater Leonhard, Herr Leu. Und das Büchlein enthält die Rede, die er 1943 anläßlich seiner Aufnahme in den Rotarier-Club gehalten hat. Er war unter ihnen der erste Philatelist und blieb der einzige, statutengemäß. Auch im Club sind Sie Nachfolger Ihres Vaters. Aber ich nehme Sie für seine Äußerungen nicht in Sippenhaft, auch wenn das Wort dem Geist jener Zeit nicht fremd wäre. Von Herrn Fries erfuhr ich, daß das Nachbarhaus – noch verdeckt es die Linde –, das Haus «zum Schwarzen Garten», an der Stelle errichtet wurde, wo 1348 die Synagoge brannte. Da man die Juden der Brunnenvergiftung bezichtigte, brannten viele von ihnen gleich mit. Doch davon redete Ihr Vater damals nicht. Sein Hausgeist war ein gewisser Herr Philipp von Hohensax aus dem 16. Jahrhundert, ansässig gewesen auf der Burg Forsteck im heute sanktgallischen Rheintal. Die von Hohensax waren auch Bürger dieser Stadt, und Philipp hat darin im Jahre des Herrn 1570 das Haus «zum Eisernen Zeit» erworben; kein anderes als Ihr Haus, Herr Leu, in dem wir heute unseren Einzug feiern. Betreten aber – und jetzt kommt’s! – hat er es erst nach seinem Tod, einem gewaltsamen Tod von der Hand seines Stiefneffen, der ihm einen Hirschfänger über den Schädel zog. Daher die Wunde, die Herr von Hohensax in seinem Nachleben vorzuweisen hat wie eine Kennmarke. Er hat eine Weile so regelmäßig in diesem Haus gespukt, daß esfür Leute aus Fleisch und Blut unbewohnbar wurde. Die Obrigkeit hat es geschlossen, und Münsterburg bekam ein Gespensterhaus in bester Lage. Dabei blieb es bis zum Jahr 1730, als die Gruft im entfernten Sennwald, wo der Freiherr ruhte, renoviert wurde – mit erstaunlichen und unheimlichen Folgen. Davon gleich mehr.
    Jacques sah von einem zum andern und genoß seine Rolle. Marybel hatte sich von Vater Schinz gelöst und kniete allein auf dem Boden, mit dem Ausdruck äußerster Konzentration.
    Ein Wort zum Nachbarhaus hinter der Linde, dem «Haus zum Schwarzen Garten», denn es gehört zu den Mitbetroffenen unserer Geschichte. Aber ich wage noch nicht, es einen Glücksfall zu nennen, daß Ihr Vater, Herr Leu, seine Rede gerade in diesem Haus gehalten hat. Die Rotarier waren kriegsbedingt von ihrem Stammlokal in den «Schwarzen Garten» umgezogen, das Haus, wo früher die Synagoge gestanden hatte. Nach dem Pogrom stopfte die Obrigkeit die Lücke mit einer Art Gesellschaftshaus für
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