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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    hielten wir uns oft in Hallenbädern auf, gegenseitig.
    Wenn einer irgendwas vorhatte, hielt der andere ihn auf. Wir kamen aber selbstverständlich nicht wie die anderen Badegäste zum Schwimmen ins Hallenbad, sondern um Handtücher zu gucken. Wir trugen uns nämlich schon seit Jahren intensiv mit dem Gedanken, uns selbst ein Handtuch zu kaufen, ein kleines. Große kamen nicht in Frage, man wirft ja nicht sein Geld zum Fenster raus! Nein, nein, so eine Geldanlage wollte wohlüberlegt sein. Darum kauften wir erst einmal ein Jahresabo für das Hallenbad, um uns ungestört verschiedenste Handtücher in Aktion ansehen zu können. Da gab es blaue, rote, weiße und wieder rote! Leider half es nichts, nach drei Jahren täglichem Hallenbadbesuch gaben wir's auf. In der Zwischenzeit war uns ein richtiger kleiner Hallenbart gewachsen. Bis heute konnten wir uns für kein kleines Handtuch entscheiden. Das akute Problem des Sich-Abtrocknens lösten wir auf eine sehr konventionelle Art: wir kauften uns einfach ein Tier mit einem Fell, an dem wir uns trockenreiben konnten. Wir entschieden uns nach 23jähriger Debatte für einen Kompromiss, und zwar: einen Kolibri. Nach dem Duschen also nahmen wir den Kolibri aus seinem vorgewärmten Käfig und rubbelten uns mit ihm unsere Körper trocken.
    Der Schnabel schmerzte manchmal sehr, aber das größere Problem war, dass, wenn einer sich trockengerieben hatte, das arme Tier ja klitschnass war, sodass sich der andere mit dem nassen Kolibri abtrocknen musste, und sich mit einem nassen Kolibri abzutrocknen ist – sind wir uns ehrlich – fast unmöglich. Also musste ein zweiter Kolibri her. Es gab aber keinen mehr im Tiergeschäft, also nahmen wir einen Fisch, aus Sparsamkeitsgründen den billigsten, den wir kriegen konnten, eine alte Sardine. Aber auch die Sardine hatte abtrocknungstechnisch, um ein Modewort zu benutzen, ihre Tücken. Denn trocknete man sich mit der Sardine ab, stank man nach Fisch, sodass man noch einmal duschen musste, in der Hoffnung, dass dann der Kolibri frei war, respektive trocken. Uns blieb nichts anderes übrig, obwohl wir am Hungertuch nagten, als ein drittes Tier zu kaufen, eine Wasserschildkröte. Da aber gab es wieder einen ganzen Köcher an Problemen, denn die Wasserschildkröte lebt ja im Wasser; will man sich mit ihr abtrocknen, muss man sie selbst zuerst einmal abtrocknen! Wir fanden Gott sei Dank einen cleveren Dreh. Wir holten die Wasserschildkröte aus dem Bassin, trockneten sie mit der Sardine ab, die wir vorher mit unserem Hungertuch gerieben hatten, und zwar trocken, aber sowas von! Mit der Sardine rieben wir die Wasserschildkröte trocken, die dann natürlich nach Fisch stank, sodass nicht mehr an ein Abtrocknen unserer nassen Körper zu denken war. Wir kauften uns notgedrungen und zähneknirschend mit hängenden Schultern und Wasser in den Beinen ein viertes Tier, ein sogenanntes »Handtuch«, mit dem es bis heute keine weiteren Probleme gab. Vielleicht kaufen wir uns irgendwann wieder einmal einen Kolibri, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    trugen wir Hundekostüme und machten oft am Straßenrand ein Häufchen Elend. Wir arbeiteten als lebende Litfaßsäulen für ein Chinarestaurant, deswegen die Hundekostüme. Die Spezialität war Hund in Essig. Der Hund lebte und war auf einem lebensgroßen Tablett festgebunden, dann wurde Essig über ihn gegossen. Kniehoch stand der Hund im Essig, dann wurde serviert. Das Gericht galt als Köstlichkeit. Mit lebensgroßen Löffeln schlurften die Gäste den Essig, der Hund war reine Zierde. Unsere Aufgabe war es, nach dem Abräumen des Tabletts die Hunde zu waschen. Die Hunde stanken sehr nach Essig, bis heute fragen wir uns nach dem Grund. Wir vermuten, die Hunde stanken deshalb nach Essig, weil Essig über sie gegossen worden war. Wahrscheinlicher aber ist, dass Hunde schon mit diesem Essiggeruch auf die Welt kommen. Aber wer kann das schon sagen in einer Zeit, in der es allein in Deutschland fast fünf Millionen Arbeitslose gibt?
    Wir lebten mit den Hunden in einer Wohnung, die keine Decke hatte, keinen Boden, kein Klavier, keine Lampe, keine Schreibutensilien und keine Lade, wo die Socken drin sind. Kurz, wir lebten im Freien. Wir lebten wie Waterloo und Robinson auf dieser Insel, ganz ursprünglich mit langen
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