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Sax

Sax

Titel: Sax
Autoren: Adolf Muschg
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wollt ihr Revolution machen? In diesen kleinbürgerlichen Dachkammern?
    Komm, sagte Hubert Achermann und nahm ihn beim Arm.
    Die Dachwohnung hatte zwei kleine Flügel; rechts stieß man zuerst auf die Naßzelle, und Dörig unterzog sie einer strengenMusterung. Im Kaminzimmer dahinter war jede ebene Fläche von Menschen belegt, die mit verklärten Augen selbstgedrehte Stummel von Hand zu Hand, von Mund zu Mund gehen ließen. Dörig wehte sich etwas von dem würzigen Dunst in die Nase und atmete ihn tief ein.
    Jimi Hendrix stirbt noch vor mir, sagte er. – Aber ich habe ihn gehört. War geschäftlich in New York, da hörte ich von einem Open air im Hinterland und daß Jimi Hendrix komme. Erst steckte ich im Stau, dann versanken wir im Schlamm, aber für Jimi Hendrix wäre ich bis ans Ende der Welt gegangen. Und das war es auch, was Hygiene betraf. Sie stank zum Himmel, wir lagen zu fünft in einem Zelt, und ich hatte noch Haar genug, daß ich mir einen Knoten hineinwickeln konnte.
    Er nahm die graue Mähne ab und schüttelte sie.
    Ich hockte auf meinem letzten trockenen Hemd, als die Baez sang. Der junge Mann neben mir trug Bürstenschnitt und einen Tarnanzug, als käme er gerade aus Vietnam. Die Baez sang von Joe Hill, dem Gewerkschaftler, der in Chicago dran hatte glauben müssen. Am Ende sieht er mich an und sagt:
Salut, camarade
. Da stellt sich heraus, das ist der Sohn des Moische Asser von der Dreierstraße, Moritz. Sein Ding war
Gerechtigkeit.
    Er könnte dich besser vertreten als ich, sagte Achermann. – Du solltest
ihn
fragen.
    Den Rabbinerenkel? Das kann ich ihm nicht antun. Und Jacques ist mir zu – sprunghaft. Nein, dieses Kreuz ist für dich. – Er setzte ihm die Perücke auf den Kopf. – Steht dir. Hast du nie Richter werden wollen?
    Nein, lächelte Hubert, mir fehlt es an Urteil. Die Glatze steht dir.
    Wenn ich sie mir ausgesucht hätte. Aber sie ist ein Werk der Chemotherapie.
    Hubert nahm die Perücke ab und setzte sie Dörig behutsam wieder auf.
    In Woodstock, sagte Dörig, ist mir zum ersten Mal die Idee mitden Scheißhäusern gekommen. Damals waren sie grauenhaft, aber ich sage dir, am Open air in St. Gallen stehen ganz andere da. Der Sponti mit der Gitarre organisiert es, wenn man das so nennen darf. Das ist ja einer, bei dem kommen sie von selbst.
    Draußen vor dem Fenster teilte Moritz Asser jetzt Portionen roter Bohnen auf Pappteller auf. Dörig betrachtete ihn verklärt.
    Ich habe ihn gefragt, was er an der Baez so mag, und er sang es mir vor:
Says I «But Joe, your’re ten years dead» «I never died» said he –
und jetzt kommt’s:
went on to organize.
    Moritz hatte ihn durchs Fenster gehört und wiegte den Kopf, Dörig wandte sich ab. – Nur raus aus dem Dampf. Aber das Zimmer ist passabel. Wer soll’s denn kriegen? Natürlich, Jacques, der Bankier. Und wo bleibt ihr?
    Komm auf die andere Seite, sagte Hubert, da waren Leus Kinderzimmer. Im hinteren steht schon mein Schreibtisch.
    Aber nun lagerte eine Männergruppe darauf und diskutierte über Hilferding und Stamokap. Im Büchergestell stand erst eine Reihe leerer Weinflaschen. Im vorderen Raum predigte ein junger Mann zu niemandem im besonderen, aber wie zu einer Volksversammlung und verlangte
unbedingten
Vorrang der
Existenz
über die Essenz. Quer über seinen blanken Schädel zog sich eine furchterregende Furche. Die anderen unterhielten sich über das Rezept der provenzalischen Suppe, die sie löffelten. Hermann Frischknecht saß am Fenster und regelte an seinem Schaltpult.
    Jetzt rede ich mit Herrn Leu, sagte Dörig.
    Als sie auf die Terrasse traten, sahen sie Peter Leu tanzen. Die Schauspielschülerin hatte seinen Arm erhoben und drehte ihn zu
Bella ciao
im Kreis wie einen Bären. Dörig faßte ihn an der Schulter und zwang ihn zum Stillstand.
    Komm doch bitte mal mit.
    Sidonie hob die leeren Arme mit einem Ausdruck gespielter Verzweiflung, aber Dörig zog beide Männer unerbittlich zurück bis vor Huberts Schreibtisch.
    Kinderzimmer, sagte er. – Aber Arbeitsplätze für
Advokaten
?
    Hören Sie …! sagte Peter Leu.
    Mein Freund Hubert hat gerade ein umfangreiches Mandat angenommen – von mir; Dörig. Unternehmer, Hygiene. Dafür braucht er
Räume
, Sekretariate, Konferenzzimmer, ein Archiv. Wenn ich
das
hier sehe, muß ich fragen: Was stellst du dir vor?
    Peter Leu war verstummt. Dann begann er: Da müssen Sie mit Herrn Schinz …
    Dies ist immer noch dein Haus. Bewohnst du es eigentlich noch? Ich sehe viel ungenützten
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