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Sax

Sax

Titel: Sax
Autoren: Adolf Muschg
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konnte ’38 nur mitnehmen, was er auf dem Leibe trug. Aber unterm Bild seiner toten Frau waren ein paar Briefmarken versteckt, von denen hat er noch zehn Jahre gelebt. Und sich dann doch vergiftet.
    Briefmarken sind sicherer als Gold, sagte Leu.
    Eine tote Frau habe ich auch, sagte Schinz, aber Mara lebt gerne gut. Ihr Vater ist im Realitätengeschäft. Wenn ein Wiener Grundstücke meint, redet er von «Realitäten».
    Thomas, ich habe einen Champagner kalt gestellt – wenn es dir recht ist.
    Dann trinken wir ihn auf dem Dach. Ich war noch nie oben.
    Da ist es aber gar nicht aufgeräumt … und sicher auch nicht.
    Kein Geländer?
    Nur ein falscher Schritt … und feuergefährlich. Du dürftest gar nicht rauchen.
    Schinz drückte die Zigarre aus. – Ich nehme das Tablett. Die Flasche wirst du noch tragen können.
    Das barocke Treppenhaus blieb bis zur vierten Etage stattlich. Erst beim Aufgang zum Dachgeschoß wich das gedrechselte Kirschholzgeländer einem einfachen Handlauf, und die Stufen waren ausgetretenes Tannenholz. Auf der Straßenseite war das Dachgeschoß abgeschrägt, aber zur Hofseite hin öffnete es sich mit einer Zeile ziemlich hoher Fenster. Der Aufbau stamme aus dem Biedermeier, erklärte Leu, hier habe ein Mathematikprofessor, ehemals Astronom, den Himmel beobachtet.
    Sie traten auf ein mit einem Holzrost gedecktes geräumiges Flachdach hinaus, von welchem der Blick in drei Himmelsrichtungen schweifte. Rechts außen an der Vorderkante erhob sich ein turmartiger Aufbau, ein Würfel aus wettergrauem Holz. Die Aussicht reichte über die Dächer in das noch junge Grün der Hügel bis zum Kranz der Alpen, die kaum körperlicher wirkten als das diesige Weiß des Aprilhimmels. Der Korken sprang in die Linden; Schinz übernahm auch das Einschenken. Zum Wohl! Schweigend taxierte er das Geländer, klopfte am Turmaufbau und begann die Front der Dachwohnung abzuschreiten. Durch die Lamellen glaubte er eine Ansammlung unförmiger Körper zu erkennen.
    Was lagerst du da oben? Särge? fragte er und probierte die Türen. In einer steckte der Schlüssel, und Schinz drehte ihn ohne Umstände. Eine unnatürliche Kälte schlug ihm entgegen. Als er den Lichtschalter ertastet hatte, stand er vor einer mit grauem Tuch verhängten Landschaft; hob man einen Zipfel, kam das gestreifte Damastpolster eines Stilmöbels zum Vorschein. Die Bilder an den Wänden waren alte Stiche mit idealen Landschaften. In der Mitte hing das Fotoporträt einer Dame im Profil; es traf Schinz wie ein Schlag, denn es war das Bild seiner toten Frau – wie kam es hierher? Das dunkle Haar war über dem langen Nacken zu einem losen Knoten geschürzt, die großen Augen blickten sinnend vor sich hin. Aber wann hätte sie ein Samtkleid mit einer Perlenkette getragen? Die hohe Büste hatte nichts von einer kranken Brust,auch war die Dame älter, als Chantal geworden war; es war auch ein älteres Bild – aus den zwanziger Jahren vielleicht. Und doch hatte er das Gefühl, die Dame könnte jeden Augenblick den Kopf wenden und ihn ansehen. Er löschte schnell das Licht und verriegelte die Tür.
    Leu blickte ihm mit der Miene eines Menschen entgegen, der zu einer schmerzhaften, doch unvermeidlich gewordenen Untersuchung stillgehalten hat.
    Aparte Räume, sagte Schinz. – Wer ist die Dame an der Wand?
    Frau Dr. Fanny Moser, sagte Leu.
    Das gleichmäßige Rauschen des Abendverkehrs war zu hören, das Brummen eines Flugzeugs. Dann fünf Schläge der nahen Augustinerkirche.
    Wo du gewesen bist, war einmal mein Kinderzimmer.
    Und auf der andern Seite?
    Da lebten die Eltern, flüsterte Leu. Plötzlich ließ er das Glas fallen, das auf dem Boden zersprang, und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu.
    Mein Tinnitus. Auf dem Dach kommt er regelmäßig. Ich habe dich gewarnt.
    Ein krankhaftes Ohrgeräusch, soviel Schinz wußte; und als er Leu beim Arm genommen hatte, zog dieser ihn mit. Fast flohen sie unter das Dach und alle Treppen hinunter bis auf die zur Geschäftsetage. An der Schwelle stand Leu still und seufzte tief auf. Kein Mensch stellt sich vor …
    Sorgen, Peter?
    Wir werden verfolgt, seit dreißig Jahren. Schon meinen Vater haben sie zur Strecke gebracht. Und lassen nicht locker …
    Sie?
fragte Schinz. Wer?
    Gehen wir ins Kabinett zurück, sagte Leu.
    Vera erhielt Erlaubnis zum Feierabend, doch Leu setzte sich erst, als das Klopfen ihrer Absätze verklungen war.
    Jetzt will ich es wissen, Peter.
    Auf deine Gefahr. Aber zwei Dinge mußt du mir
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