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Sax

Sax

Titel: Sax
Autoren: Adolf Muschg
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strafen können.
    Man muß mit ihnen spielen können. Und ich hab’s verlernt. Aus Angst vor den Eltern. Da hat der Spaß aufgehört. Als die Mutter an einem schönen Sommertag auf dem Dach Wäsche aufhängte, sah sie eine Gestalt, die sich aus dem Elternzimmer beugte, so tief, daß ihr langes schwarzes Haar den Boden streifte. Sie glaubte, es sei die neue Waschhilfe, und rief sie an; da richtete sich die Gestalt auf und hatte ein schneeweißes Gesicht und tieftraurige Augen; dann verging sie in der Wand.
    Danach zog die Mutter aus und nahm Doris und mich mit zu ihren Eltern in die Vorstadt. Vater blieb im «Eisernen Zeit», und nun kannten die Geister kein Halten mehr. Einmal hatte er in der Wand Messer wetzen gehört; plötzlich lag ein Frauenkopf auf dem Kissen. Er sprang aus dem Bett, und das Phantom verging mit einem stillen Lächeln, doch auf dem Kissen blieb noch lange der Abdruck eines Schädels zurück.
    Schließlich ließ Vater einen Kapuziner aus den Abruzzen kommen. Er kostete ein Vermögen, aber war ganz sicher, die Quelle des Spuks geortet zu haben. Horner – das war der Astronom aus dem letzten Jahrhundert – hatte diesem Haus eine Sternwarte angebaut, die vor seinem Tod nicht fertig geworden war. Die Ruine endete unter dem Holzaufbau unter dem Dach. Das sei der Schlupfwinkel der Geister. Es gelang Pater Sirio, einen zur Rede zu stellen, aber es war der Geist eines Missionars, der in der Südsee Menschenfleisch gekostet hatte und darum keine Ruhe fand. Abbrechen konnte man die Sternwarte wegen der Statik des Hauses nicht, aber wirksam verkleiden. Der Kapuziner weihte jedes Brett einzeln und schnitt ein Kreuz hinein. Aber kaum war der Exorzist verreist, begann es in den Wänden zu kichern. Es kam vor, daß sie mitten inder Nacht in leises Gelächter ausbrachen, das von allen Seiten zu kommen schien. Die Mutter betrat das Haus nicht mehr, Vater aber begann zu «studieren», wie man das nannte.
    Eines Tages kaufte er ein Werk über Spuk und stieß in seiner Buchhandlung ganz zufällig auch auf die Verfasserin persönlich, eine Frau Dr. Fanny Moser. Sie war, trotz ihrer bald achtzig Jahre, immer noch eine sehr schöne und auch sehr vermögende Frau. Ihr Vater hatte einmal den Uhrenhandel Rußlands beherrscht, sie selbst sich als Meeresbiologin einen Namen gemacht. 1913 nahm sie in Berlin an einer spiritistischen Séance teil, bei der sich ein schwerer Tisch ohne jede mechanische Nachhilfe bis zur Decke erhob. Das wurde ihr Damaskus, wie sie sagte, und gab ihrem Forscherleben eine ganz neue Richtung.
    Für Vater kam sie als Engel vom Himmel. Sie bat sich aus, eine bestimmte Zeit ungestört unter unserem Dach zu wohnen, und bezahlte den Eltern sogar eine Reise in die Südsee, die sich Mutter immer gewünscht hatte. Das war im Winter ’52/’53. Sie ließ die Sternwarte wieder öffnen und brachte viele Nächte darin zu, in bitterer Kälte – sie sollte sich dabei den Tod holen. Aber auch den Eltern muß unterwegs etwas zugestoßen sein. Erst beim Begräbnis meiner Mutter deutete Vater an, sie habe auf dem Schiff «mit einer anderen Stimme» zu sprechen angefangen. Dabei hatte sie auf den Marquesasinseln ein Telegramm Frau Mosers erreicht: WESENHEIT ERKANNT & FREUNDSCHAFTLICH ZUGENEIGT STOP LÖSUNG UNMITTELBAR BEVORSTEHEND STOP HERZLICHST DR. FANNY MOSER.
    Die LÖSUNG erwies sich als neuer Schicksalsschlag. Drei Tage vor der Rückkehr der Eltern nach Münsterburg, am 24. Februar 1953, war Frau Dr. Moser plötzlich verstorben, in ihrer eigenen Wohnung, als sie mit der Reinschrift ihrer Notizen beginnen wollte. Natürlich forschte Vater, sobald es die Pietät erlaubte, nach dem Verbleib des Materials. Aber es war gleich nach Frau Dr. Mosers Hinschied an das Institut in Freiburg gegangen, das die Verewigte gestiftet hatte, und der Direktor verweigerte Außenstehenden jedenZugang zu ihrem Nachlaß. Später erfuhren wir, daß die einzige Schwester, Mentona Moser, die Vernichtung der Papiere durchgesetzt hatte. Sie war überzeugte Kommunistin und hatte den Geisterglauben der älteren Schwester immer als Verirrung betrachtet. Alles, was Vater auf einem Umweg erfahren hatte, war, daß Frau Dr. Moser, schon bewußtlos, immer wieder
Caspar, ich komme!
gestammelt habe.
    Es konnte sich dabei nur um den 1834 verstorbenen Caspar Horner handeln, den Erbauer der Sternwarte. Er war die WESENHEIT, und die Folgen seines Kontakts mit Frau Moser hätten sich eine Weile wohltätig bemerkbar gemacht. Die Phänomene seien
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