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0066 - Ich folgte dem roten Wagen

0066 - Ich folgte dem roten Wagen

Titel: 0066 - Ich folgte dem roten Wagen
Autoren: Ich folgte dem roten Wagen
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»Also mach’s gut, alter Knabe«, brummte Phil und streckte mir die Hand hin. Seine Stimme war ein bisschen heiser, als ob ihm etwas im Hals säße.
    »Viel Vergnügen, Phil«, sagte ich und schüttelte seine Hand.
    Phil fuhr vierzehn Tage in Urlaub. Es hatte sich nicht einrichten lassen, dass wir unseren Urlaub gemeinsam bekamen, und so hatte ich die schöne Aussicht, in den nächsten vierzehn Tagen ohne meinen Partner Phil auskommen zu müssen. Wir sind bestimmt keine wehleidigen Burschen, aber irgendwie ging uns der Abschied ein bisschen an die Nerven. Wir sind zu gut aufeinander eingespielt, als dass einer den anderen lange missen könnte.
    »Tja«, murmelte er. »Dann werde ich jetzt wohl gehen.«
    Eine kleine Pause entstand. Ich steckte mir eine Zigarette an. Phil nahm sich ebenfalls eine aus meiner Packung.
    »Ob ich nicht…«, fing er zaghaft an.
    »Du kannst jetzt nicht wieder alles über den Haufen werfen, Phil«, lehnte ich ab. »Mister High müsste den ganzen Urlaubsplan umkrempeln, wenn du jetzt plötzlich hierbleibst.«
    »Du hast recht, Jerry«, seufzte er. »Also fahr ich eben. Aber ich habe überhaupt keine Lust dazu, damit du klarsiehst! Was ist das überhaupt für ein Blödsinn: Urlaub! Ein G-man soll sich mit Gangstern beschäftigen statt mit Faulenzen.«
    Ich konnte ihn verstehen. In Wirklichkeit ging es ja nur darum, dass er allein fahren musste. Mir behagte es genauso wenig wie ihm.
    »Ich bring dich runter!«, sagte ich.
    Gemeinsam verließen wir unser Office. Im Flur und im Lift trafen wir ein paar Kollegen, die Phil vergnügten Urlaub wünschten. Phil brummte sein Dankeschön ziemlich knurrig.
    »Hast du dein Gepäck schon am Bahnhof?«, fragte ich, um ihn ein wenig aus seinen trüben Gedanken herauszureißen.
    Er nickte.
    »Ja, ich hab’s von einem Taxi zur Central Station bringen lassen.«
    »Wohin fährst du eigentlich?«
    »Nach Hamilton. Am Bradley Beach.«
    »Aha.«
    Phil wollte den Lift im Erdgeschoss verlassen. Ich zupfte ihn am Ärmel.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Ich bring dich mit meinem Jaguar zum Bahnhof«, sagte ich.
    Er nickte wortlos. Wir fuhren vom Hochparterre noch ein Stockwerk tiefer, wo der Hinterausgang zum Hof liegt. Draußen stand mein Jaguar in der Reihe der anderen Wagen, die für schnelle Einsätze in Reih und Glied bereitstehen.
    Es war eine trübsinnige Fahrt. Vor dem Bahnhof verabschiedeten wir uns schnell, weil es für Phil höchste Zeit wurde. Ich wartete, bis er im Gewirr der Reisenden verschwunden war, die täglich die Central Station betreten.
    Vor dem Bahnhof rief ein Zeitungsboy die neusten Schlagzeilen aus. Er kam dicht an mir vorbei und hielt mir ein Blatt vor die Nase. Ich nahm es und gab ihm einen Dime dafür, ohne auch nur einen einzigen Blick auf die Zeitung zu werfen. Ich schob sie, zusammengefaltet, wie sie war, in meine rechte Jackentasche, klemmte mich wieder hinters Steuer und fuhr zurück zum Districtgebäude.
    Ich war froh, als endlich Feierabend war. Ich beschloss, ins Kino zu gehen. Ich suchte mir ein Repertoire-Theater, wo alte gute Filme wiederholt werden, und sah mir zum zweiten Mal High Noon an. Gary Cooper gefiel mir genauso gut wie beim ersten Mal. Als das Ende des Films schon gekommen war und sich bereits die ersten eiligen Leutchen erhoben, wurde plötzlich Licht und eine Stimme sagte über einen Lautsprecher: »Achtung! Achtung! Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit für eine polizeiliche Durchsage! Bitte behalten Sie Platz!«
    Die meisten setzten sich wieder. Das Licht im Saal erlosch und auf der Leinwand erschien das Bild eines kleinen Mädchens. Es mochte so an die drei, vier Jahre alt sein, hatte blondes Haar und ein paar lustig funkelnde blaue Augen. Es war ein sehr gut gemachtes Farbfoto.
    Während das Bild unbeweglich auf der Leinwand stand, hörte man die Stimme eines Mannes über den Lautsprecher.
    »Dies ist Heddy Marshall, drei Jahre alt, mit ihren Eltern wohnhaft in Louisville in Kentucky. Heddy wird seit vorgestern vermisst. Es besteht die Möglichkeit, dass das Kind entführt wurde. Wir bitten die Bevölkerung um Mitarbeit. Wer hat Heddy innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden gesehen? Zweckdienliche Mitteilungen nimmt jede Polizeistation entgegen. Ich wiederhole: Dies ist…«
    Ich betrachtete mir das Gesicht des Kindes mit durchschnittlichem Interesse. Dass Kinder für ein paar Tage verschwinden, kommt in jedem zivilisierten Land der Welt vor. Meistens tauchen sie unter den überraschendsten
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