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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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daß er das letzte Mal mit dem Pfarrer gesprochen hatte, als die Anderen ans Ruder gekommen waren, vor vier Jahren. Sie waren sich auf der Straße begegnet. Der Pfarrer war stehengeblieben und hatte ihn angesprochen.
    Sie roter Hund, hatte er gesagt, jetzt geht’s Ihnen an den Kragen! Er hatte gelacht dabei. Damals lachte man noch bei so was. Nur Knudsen hatte schon damals nicht mehr gelacht, sondern den Pfarrer angesehen und zu ihm gesagt: Auch Ihnen wird Ihr Verdun-Bein eines Tages nichts mehr nützen.
    Der Pfarrer hatte sofort aufgehört zu lachen. Ehe er weiter- ging damals, vor vier Jahren, hatte er gesagt: Wenn Sie mal meine Hilfe brauchen sollten, Knudsen, Sie wissen, wo ich wohne.
    Aber es schien so, dachte Knudsen, als ob der Pfarrer jetzt seine Hilfe brauchte. Nach einer Weile kam der Junge mit den leeren Treibölkannen auf Deck. Er blickte scheu zu Pfarrer Helander hin, bei dem er konfirmiert worden war, und grüßte.
    Geh nach Hause, sagte Knudsen zu ihm, und mach dein Zeug fertig. Wir fahren um fünf.
    Der Junge verdrückte sich. Wollen Sie nicht auf Deck kom- men und sich setzen? fragte Knudsen.
    Nein, das wäre zu auffällig, erwiderte Helander.
    Aha, dachte Knudsen, offenbar war die Stunde gekommen, in der dem stolzen Pfarrer Helander sein Verdun-Bein nichts mehr nützte. Das Bein, das man ihm bei Verdun abgeschossen hatte.
    Knudsen, sagte der Pfarrer. Sie werden heute erst in der Nacht fahren. Er setzte hinzu: Ich bitte Sie darum.
    Knudsen sah fragend zu dem Pfarrer hoch, der ein wenig über ihm auf dem Kai stand, ein großer schlanker Mann mit
    einem heftigen, geröteten Gesicht, mit einem schmalen schwarzen Bart über dem Mund, einem schwarzen Bart, in den sich graue Fäden mischten, mit den blitzenden Gläsern einer randlosen Brille vor den Augen, kristallisch blitzend in dem leidenschaftlichen, eine Neigung zum Jähzorn verraten- den Gesicht über einem schwarz gekleideten Körper, der sich ein wenig über den Stock krümmte. Ich muß Sie bitten, für mich nach Skillinge zu fahren und etwas mitzunehmen, sagte Helander.
    Nach Schweden? Knudsen nahm die Pfeife aus dem Mund.
    Ich soll für Sie etwas nach Schweden bringen?
    Ja, sagte Helander. Zum Propst von Skillinge. Er ist mein Freund.
    Von der Werft her sang ein Flaschenzug gellend auf. Vor dem ›Wappen von Wismar‹ standen zwei Frauen mit Einkaufstaschen im Gespräch. Knudsen stellte die Lampe weg, an der er gerade gearbeitet hatte. Er war auf der Hut. Jetzt nicht einmal mehr fragen, dachte er. Wenn ich auch nur frage, bin ich schon drin. Er blickte an dem Pfarrer vorbei, auf den leeren Kai.
    Nur eine kleine Figur, hörte er Helander sagen. Eine kleine Holzfigur aus der Kirche.
    Knudsen wunderte sich so, daß es ihn zum Sprechen hinriß. Eine kleine Holzfigur? fragte er.
    Ja. Nur einen halben Meter groß. Ich soll sie den Anderen abliefern. Sie wollen sie mir aus der Kirche nehmen. Sie muß nach Schweden in Sicherheit gebracht werden. Helander unterbrach sich und fügte hinzu: Ich bezahle natürlich die Fahrt. Und auch, wenn Sie dadurch Verluste beim Fischfang haben, Knudsen.
    Der Pfaffe, dachte Knudsen. Der verrückte Pfaffe. Ich soll ihm seinen Götzen retten.
    Sie können sich darauf verlassen, Herr Pfarrer, daß die Figur bei uns sorgfältig magaziniert wird, hatte der junge Mann aus Rostock gesagt. Helander geriet in Zorn, wenn er an den Besuch des jungen Herrn Doktor gestern abend dachte. Keiner von den Anderen, sondern ein Geschickter, Wendiger, ein Karrierist, der sich durchschlängelte, einer, für den es nur Taktik gab und der im übrigen ›das Beste wollte‹. - Sie wollen den ›Klosterschüler‹ wohl konservieren, Herr Konservator, hatte Helander höhnisch geantwortet, es ist aber unnötig, ihn einzuwecken, er bleibt auch so frisch. — Wir wollen ihn schützen, Herr Pfarrer. - Sie wollen ihn einsperren, Herr Doktor. Er steht nun einmal auf der Liste, und wir haben den Auftrag … - Auf welcher Liste? - Auf der Liste der Kunstwerke, die nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt werden sollen. Und da ist es besser… - Der ›Klosterschüler‹ ist kein Kunstwerk, Herr Doktor, er ist ein Gebrauchsgegenstand. Er wird gebraucht, verstehen Sie, gebraucht! Und zwar in meiner Kirche. - Aber begreifen Sie doch, hatte der alte junge Mann, der geduldig war wie ein Greis, erklärt, wenn Sie ihn nicht uns geben, holen ihn die Anderen übermorgen früh einfach aus der Kirche heraus. Und was dann mit ihm geschieht? -
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