Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
Vom Netzwerk:
Traum in seiner ganzen Absurdität und vollkommenen Trostlosigkeit, und plötzlich wußte der Pfarrer, warum er sich entschlossen hatte, zu schießen. Er hatte sich entschlossen, zu schießen, weil die Salve aus seiner Trommelpistole die Starre und Trostlosigkeit der Welt durchbrechen würde. In den Feuerstößen aus seiner Pistole würde die Welt für die Dauer von Sekundenbruchteilen lebendig werden. Wie dumm von mir, dachte der Pfarrer, zu denken, ich schösse, um Gott zu züchtigen. Gott läßt mich schießen, weil er das Leben liebt.
    Der erste, der hereinkam, war einer von den Zivilisten. Helander schoß ihn sofort nieder. Er kippte wie eine große Puppe nach hinten um, während sein Hut herunterfiel und langsam ins Zimmer rollte. In seinem schwarzen Ulster lag er über der Schwelle. Der zweite, der ihm hatte folgen wollen, einer der Uniformierten, hatte sich mit einem Sprung zurückgezogen; Helander hörte aufgeregte Rufe und dann die Haushälterin, die zu schreien angefangen hatte. Er war vollkommen ruhig und wartete darauf, wie es weiterging. Er dachte jetzt daran, daß für die Fischer, die auf See geblieben waren, Tafeln in der Kirche hingen, auf denen der Name stand und darunter: In den Stiefeln gestorben. Wenn sie für mich eine solche Tafel aufhängen, dachte er, und beinahe lächelnd wünschte er es sich, dann müssen sie schreiben: Pfarrer Helander - In seinem einen Stiefel gestorben.
    Herrgott, erinnerte er sich plötzlich, die Schrift! Jetzt muß sie doch erscheinen, die Schrift auf der Wand meiner Kirche. Die Schrift, auf die ich mein Leben lang gewartet habe. Er wandte sich um und blickte auf die Wand, und während er die Schrift las, spürte er kaum, wie das Feuer in ihn eindrang, er dachte nur, ich bin lebendig, als die kleinen heißen Feuer in ihm brannten. Sie trafen ihn überall.
    Der Junge
    Den ganzen Nachmittag schipperten sie unter der Küste von Schonen ‘rum nach Osten, und Knudsen hatte das Mädchen schon lange wieder auf Deck gelassen, denn sie hatten es geschafft, und es bestand keine Gefahr mehr. Der Junge bemerkte, daß Knudsen keinen der kleinen Häfen anlief, an denen sie vorbeikamen, er wußte, daß Knudsen das nicht riskieren konnte, weil er das Boot sonst hätte klarieren müssen. Zwischen vier und fünf hielt Knudsen auf einen Steg zu, der zu einem Haus gehörte, das alle Schotten dicht hatte, und sonst war nichts zu sehen als Kiefernwald und ein paar graue Felsen. Der Junge sprang auf den Steg und machte das Boot fest, und Knudsen sagte zu ihm, er solle beim Boot bleiben, und zu dem Mädchen sagte er, sie seien ganz in der Nähe von Skillinge, und er werde mit ihr die Straße suchen gehen, und sie solle dann allein weitergehen und die Figur zum Propst von Skillinge bringen. Er ging mit dem Mädchen davon, und als es ganz still geworden war, stahl sich der Junge weg.
    Nachdem er eine Weile gegangen war, dachte er, der Wald ist prima. So etwas von einem Wald hatte er noch nicht gesehen. Unter den Bäumen lagen graue Felsen und umgestürzte Bäume, und es gab Bäche und kleine Teiche in den Senken und manchmal eine Sumpfwiese und keinen Weg, nur einmal kreuzte der Junge eine Straße und er dachte, das muß die Straße nach Skillinge sein. Auf der anderen Seite ging der Wald genauso weiter, und der Junge hatte die Empfindung, daß er noch tagelang in diesem Wald weitergehen konnte. Ich bin ‘raus, dachte er. Dann kam er an einen großen silbergrauen See, und er überlegte noch, ob er ihn nach rechts oder links umgehen sollte, als er die Hütte entdeckte, eine Blockhütte mit einem Boot davor. Er ging auf sie zu und probierte die Tür, sie war offen. Mensch, dachte er, das ist ein Land, hier lassen sie die Türen ganz einfach offen. Er sah sich um, in der Hütte befand sich ein Lager aus Fellen und ein Kamin, und auf einem Bord befanden sich Teller und eine Pfanne und Töpfe. Alles war schon lange nicht mehr benutzt worden.
    Er ging wieder hinaus und machte das Boot los und trudelte vorsichtig mit ihm auf den See hinaus. Er warf die Köderschnur aus, und nach zwei oder drei Minuten hatte er zwei große Döbel dran. Die Fische waren braun und silbern, sie sahen viel frischer und zarter aus als Seefische, und der Junge dachte, hier kann ich erstmal ‘ne ganze Weile bleiben, wenn niemand kommt. Er paddelte das Boot zurück und ging in die Hütte, sogar Holz lag drin, er machte ein Feuer im Kamin, hing einen Kessel mit Wasser drüber, und als das Wasser kochte, schmiß er die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher