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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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Dunkelheit, in der er nichts erblicken konnte, kein Licht, und dann auf sein Boot, das in ein paar Minuten ein jüdisches Mädchen und ein seltsames Wesen aus Holz in die Dunkelheit ohne Licht tragen würde.
    Er erhob sich mühsam vom Boden. Du kannst mitfahren, wenn du willst, sagte er zu Gregor.
    Besten Dank, sagte Gregor höhnisch. Ich pfeife auf dein Angebot.
    Sie sahen sich stumm an. Dann hob Knudsen seine Mütze vom Boden auf und ging. Als er an dem Jungen vorbeikam, blickte er ihn finster an, aber er sagte nichts. Der Junge folgte ihm, das Paket unter dem Arm.
    Los! sagte Gregor zu Judith. Es ist soweit.
    Sie bewegte sich noch immer nicht vom Fleck, aber sie machte eine Bewegung mit der Hand, eine stumme Aufforderung an Gregor, mitzukommen. Aber Gregor schüttelte den Kopf. Er ging auf sie zu, packte sie an der Schulter und stieß sie fast in die Richtung der Buhne. Ihre Bewegungen spielten sich wie eine Pantomime hinter Knudsens Rücken ab.
    Dann sah Gregor die drei Gestalten, wie sie auf der Buhne entlang balancierten und wie sie das Boot erreichten und die Taue losmachten. Er konnte erkennen, daß Knudsen ins Steuerhaus trat und der Junge nach unten ging und Judith sich auf eine Taurolle am Mast setzte. Der Motor begann zu tuckern, das Geräusch klang unerträglich laut und hoch in der nur noch leise singenden Windnacht, Gregor duckte sich unwillkürlich zusammen und blickte besorgt auf den Leuchtturm, als könne das Licht den Ton hören. Aber der Strahl des Leuchtturmes wanderte unberührt seine Bahn von Osten nach Westen, erlosch und setzte nach einer Weile im Osten neu an. Gregor stellte fest, daß Knudsen, auch als er schon weiter draußen war, seine Bordlichter nicht einschaltete, und es dauerte nicht lange, bis er das Boot nicht mehr erkennen konnte. Die See und die Nacht waren zu einer Wand aus finsterer Zeit geworden, an deren Fläche nur die Uhr des Motorengeräuschs leiser und leiser tickte.
    Gregor, auf einmal allein, spürte seine Müdigkeit. Er fand am Strand eine trockene, gegen den Westwind geschützte Sandkuhle, in die er sich legte. Er schaufelte mit den Händen den Sand über sich wie eine dichte Decke, so daß er zuletzt ziemlich warm lag, wenn er sich nicht bewegte. Ehe ihn das monotone Geräusch der Brandung einschläferte, blickte er eine Zeitlang in den Himmel, an dem nun kein Stern mehr zu sehen war. Er wachte davon auf, daß er fror. Die Uhr zeigte auf ein paar Minuten über fünf. Von Dämmerung konnte noch keine Rede sein, aber in das absolute Dunkel hatte sich ein fahler Ton geschlichen, etwas Graues war in die Finsternis eingetreten: Nebel. Gregor erhob sich und schüttelte den Sand aus seiner Kleidung. Der Nebel war nicht sehr stark, aber selbst wenn er sehr dicht gewesen wäre, hätte Gregor von hier aus noch immer die Position des Leuchtturms erkennen können; immer noch bewegte sich der Lichtstrahl, von der See kommend, über die Halbinsel und erlosch.
    Gregor wußte, in welche Richtung er zu gehen hatte. Er hielt sich an den Strand und bewegte sich nach Westen. Nachdem er eine halbe Stunde gegangen war, wurde es heller, graues Licht breitete sich aus, auch der Nebel verschwand. Plötzlich kam der Lichtfinger vom Leuchtturm nicht wieder, eine gleichmäßige, diffuse, nüchterne Helligkeit breitete sich aus, die Dämmerung eines trüben Herbstmorgens. Gregor sah sich um und stellte fest, daß er sich auf einer weiten Kieselfläche mit Flecken aus hohem, dürrem Gras dazwischen befand, die mit einem Strandstreifen an das Meer grenzte. In der Ferne, auf der anderen Seite, konnte er das Haff sehen, das jetzt unbewegt und bleifarben dalag, denn der Wind hatte schon lange aufgehört. Und dann sah Gregor die Vögel. Überall auf der Kieselebene saßen helle Vögel, Vögel mit weißem Gefieder oder Vögel mit ockerfarbenem und hellbraunem und silbergrauem Gefieder, nur selten einmal leuchtete eine schwarze Feder metallisch in den seidenen Schminken aus Milchweiß und Schimmelgrau, aus dem Braun von Zimt und hellen, entschälten Nüssen, aus Elfenbeingelb und dünnem Teegelb, aus Spiegelsilber und dem Silber wilder, ferner, nördlicher Gewässer. Die Vögel saßen in kleinen Gruppen zusammen, sie hatte die Köpfe ins Gefieder gesteckt und schliefen. Gregor ging zwischen den Vögeln hindurch, zwischen den Gruppen der schlafenden Wildgänse und Wildenten und Möwen, zwischen Vögeln, die sich auf der Wanderschaft befanden, und Vögeln, die hierbleiben und sich in den Winterstürmen
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