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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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gesprengt und begann zu boxen. Er wußte, daß er ein guter Boxer war und daß Knudsen keine Chance hatte, außer im Ringen, so daß er jedesmal einen Schritt zurücktrat, wenn Knudsen ihn unterlaufen wollte. Er schlug ihm ein paarmal zwischen die Augen und ans Kinn, und einmal, als Knudsen ihn doch wieder gefaßt hatte, klopfte er ihm leicht auf die Nieren, so daß Knudsen in die Knie ging.
    Komm mir doch zu Hilfe! sagte Knudsen zu dem Jungen.
    Gregor wartete, und Knudsen erhob sich stöhnend. Die Nacht war plötzlich sehr still, Judith stand in einiger Entfernung, das Gesicht in ihren Armen verborgen, ihr Mantel leuchtete, und der Junge rührte sich nicht. Er hielt das Paket mit der Figur umklammert, und er sah auf die beiden Männer, mit einem Ausdruck düsterer Neugier in seinem hellen Gesicht.
    Dann nahm Gregor alle Kraft zusammen und brachte einen linken Haken an, der Knudsen umwarf. Er stürzte auf die Steine und blieb liegen. Blut rann ihm dünn aus der Nase und dem Mund. Nach einer Weile gelang es ihm, sich auf einen Arm zu stützen und seinen Oberkörper aufzurichten.
    Gregor ging auf den Jungen zu. Wie ist es, fragte er, kannst du das Boot auch allein nach Schweden bringen? Es fiel ihm auf, daß er den Jungen unwillkürlich wie einen Komplizen behandelte, - keinen Moment lang hatte er sich darüber gewundert, daß der Junge Knudsen nicht beigesprungen war. Er ertappte sich dabei, zu hoffen, der Junge würde die Frage verneinen. Vielleicht würde er nein sagen, und dann hatte er, Gregor, einen Grund, mitzufahren. Mit seiner Hilfe würde der Junge die Hinfahrt schaffen. Aber natürlich war diese Annahme falsch gewesen: der Junge sagte: Klar bring ich die ›Pauline‹ allein rüber. Das schaff ich schon.
    Aus der Traum, dachte Gregor, es soll nun mal nicht sein. Also dann ab mit euch, sagte er zu dem Jungen und Judith. Er hatte sich zu Judith hingewendet, die sich seit dem Beginn des Kampfes nicht von der Stelle gerührt hatte und nun auf Knudsen starrte.
    Keine Angst, sagte Gregor, ich hab ihn nicht lebensgefährlich verletzt. Wenn Sie weg sind, kümmere ich mich um ihn. - Aber Sie müssen jetzt weg! fügte er hinzu. Sie müssen weit draußen sein, ehe es dämmert; wir haben schon zuviel Zeit verloren. Judith schüttelte den Kopf. Nein, sagte sie, ich kann dem Mann nicht sein Boot wegnehmen. So geht es nicht, wie Sie es sich gedacht haben.
    Knudsen nahm die Vorgänge nur dumpf in sich auf, er war noch halb betäubt, aber die Szene drang doch in sein von der Angst um die Tjalk gejagtes Bewußtsein ein. Und während er etwas Blut auf die Steine spie, erfüllte ihn auf einmal Verwunderung. Willst du wirklich nicht mitfahren? fragte er Gregor.
    Nein, sagte Gregor, ich hab es dir doch gesagt. Es ist gelogen, dachte er, ich möchte mitfahren.
    So, sagte Knudsen. Ein Gedanke suchte sich in seinem Gehirn zu formen, aber er konnte ihn nicht fassen. Statt dessen sprach er ihn aus.
    Dann will ich das Boot übernehmen, sagte er, das Mädchen kann mitfahren.
    Mein Gott, dachte Gregor, dieser Mann hat mich gehaßt. Alles, was er seit heute nachmittag getan hat, seitdem er mich in der Kirche getroffen hat, ist eine Folge seines Hasses gegen mich gewesen. Er ist dageblieben, er hat sich entschlossen, den kleinen Mönch mitzunehmen, weil er mich haßte. Er hat sich auf das gefährliche Abenteuer eingelassen, um mir nicht die Möglichkeit zu geben, ihn zu verachten. Er wollte mir zeigen, daß er jeden nur denkbaren Mut aufbringt, um mir zur gleichen Zeit zeigen zu können, daß er entschlossen ist, keinen Finger für mich zu rühren. Warum hat er mich so gehaßt? dachte er. Was habe ich ihm getan? Er hat mich gehaßt, er haßt mich jetzt nicht mehr, weil ich die Angelegenheit auf die Spitze getrieben habe. Wenn ich einen Meter vor dem Ziel versagt hätte, wenn ich zu dem Jungen gesagt hätte, ich fahre mit, dann hätte er mich gehaßt bis ans Ende seiner Tage.
    Der hochnäsige Kerl, dachte Knudsen, der verdammte hochnäsige Kerl. Der Kerl mit seinem ZK-Hochmut. Dabei ist er nichts weiter als ein beschissener kleiner Deserteur, ein Bursche, der kneift. Aber ich kneife ja auch. Und er ist jung; vielleicht müssen die Jüngeren so kneifen wie er. Wenn die Partei schon im Eimer ist, dann müssen die Jungen so kneifen wie er, und die Älteren so wie ich. Dann ist es besser, wir machen solche Sachen wie die, zu der er mich heute gezwungen hat, Sachen ohne die Partei, private Sachen. Knudsen sah auf die See hinaus, in die
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