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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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wird offenbar im Bilde sein, wenn ich mit dem Ding ankomme. Schit, dachte Knudsen, das Ganze ist schit, und auf einmal kam ihm eine Idee: ich werde das Ding draußen über Bord werfen, überlegte er, das ist das Einfachste, und dann werde ich auf den Dorsch gehen und morgen mit einem Haufen Fische nach Hause kommen, zu Bertha, niemand wird mich irgend etwas fragen und ich werde in Ruhe leben.
    Er kletterte auf der Buhne entlang, bis er den Strand erreichte, einen Steinstrand mit Sandflecken zwischen den groben Kieseln. Das Wäldchen stand dunkel gegen den Himmel, Knudsen wußte, daß es eigentlich kein Wald war, sondern nur eine eingezäunte Schonung aus niedrigen jungen Kiefern. In regelmäßigen Abständen spielte der Schein vom Leuchtturm über sie hinweg, aber er erfaßte sie nicht, sondern er traf erst weiter nach Westen auf den Strand der Halbinsel. Knudsen hatte den Platz gut gewählt. Er setzte sich auf einen Stein, kramte seine Pfeife hervor, zündete sie so an, daß seine Gestalt das aufflammende Zündholz gegen den Leuchtturm verbarg, und wartete. Er fühlte sich mit einem Male sehr gut, er spürte, wie ihn die Sorge verließ, während sich seine Idee in ihm verfestigte, es ist eine ganz einfache und praktische Idee, dachte er, ich muß betütert gewesen sein, daß ich nicht schon früher daraufgekommen bin. Es ist nicht einmal Verrat, überlegte er, denn die Figur - er nannte sie in seinen Gedanken jetzt nicht mehr den Götzen —, sollte ja nur vor den Anderen gerettet werden, und das wurde sie schließlich auch, wenn man sie irgendwo still in die Ostsee versenkte. Die Ostsee war eine saubere Sache. Er konnte übrigens die Stelle ausmachen, wo er sie versenkte; vielleicht konnte man die Figur später, wenn es die Anderen nicht mehr gab, wieder herausholen - er mußte eine Stelle wählen, die nicht so tief war, daß ein Taucher sie nicht erreichen konnte. Wenn es aber die Anderen immer geben würde - und Knudsen konnte sich eine Welt ohne die Anderen nicht mehr vorstellen -, dann war es schließlich gleichgültig, ob sich dieses Stück Holz in einer Kirche am Ende der Welt befand oder auf dem Grund der See. Die Beklommenheit wich von Knudsen, während er nachdachte und rauchte; fast vergaß er seine Abneigung gegen Gregor, als er überlegte, wie leicht er nun aus der Sache herauskam.
    Die See vor ihm war dunkel. Das Zollboot war längst verschwunden, und keine Laterne eines Fischereifahrzeugs war zu sehen. Der Wind trieb die Wellen mit Wucht an den Strand, wo sie in einem harten Aufrauschen zerstoben, aber Knudsen fühlte, daß der Sturm nachlassen würde; schon jetzt schöpfte die Stille zwischen den Windstößen längeren Atem. Dafür überzog sich der Himmel mit einer zusammenhängenden Wolkendecke.
    Knudsen stand auf, steckte die Pfeife ein und wandte sich um, als er Geräusche hörte. Er sah Gestalten, die sich am Rande der Kiefernschonung entlang auf ihn zubewegten, zuerst den Jungen, dann Gregor, aber neben Gregor ging eine Frau; noch ehe Knudsen sich seine Überraschung klar ins Bewußtsein bringen konnte, waren sie heran.
    Hallo, sagte Gregor, auf dich kann man sich verlassen.
    Er hatte die Figur, gleich nachdem sie drüben, auf der anderen Seite der Halbinsel angekommen waren, wieder in die Decke verpackt. Nun hielt er das Paket Knudsen hin.
    Hier hast du den Burschen, sagte er. Bring ihn gut hinüber!
    Knudsen rührte sich nicht. Er hielt seine Augen auf Judith gerichtet.
    Wer ist denn die? fragte er. Was tut sie hier?
    Noch ein Passagier, sagte Gregor mit gespielter Munterkeit. Ein jüdisches Mädchen, fügte er hinzu. Sie muß unbedingt nach drüben.
    So, sagte Knudsen höhnisch, sie muß unbedingt nach drüben. Er wandte sich ab und sagte zu dem Jungen: Nimm das Paket und komm! Wir gehen.
    Gregor war mit einem Satz bei dem Fischer und packte ihn am Arm.
    Soll das heißen, daß du sie nicht mitnehmen willst? fragte er.
    Knudsen blieb stehen und schüttelte Gregors Arm ab.
    Ja, denk mal an, sagte er, das soll es heißen.
    Gregor ging zu dem Jungen hinüber und gab ihm das Paket. Es fiel ihm auf, daß der Junge es mit einer sorgfältigen, fast ehrfürchtigen Bewegung abnahm. Dann war er wieder bei Knudsen.
    Wieviel Zeit soll ich dir lassen, fragte er, bis du dir überlegt hast, daß du das Mädchen mitnimmst?
    Sie ist wohl dein Mädchen? fragte Knudsen. Er fühlte wieder die Wut, die er auf Gregor hatte. Er wußte nicht, daß es die Wut auf die Partei war, die er an Gregor ausließ. Gerade in
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