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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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diesem Abtrünnigen repräsentierte sich für ihn die Partei; die Partei, die ihn, Knudsen, im Stich gelassen hatte.
    Lassen Sie ihn doch! sagte Judith zu Gregor. Sie dürfen ihn nicht zwingen!
    Halten Sie den Mund! sagte Gregor grob. Das ist eine Angelegenheit zwischen mir und diesem Mann.
    Laß doch das Theater! sagte Knudsen. Du brauchst dein Mädchen nicht mit Sie anreden.
    Hör mal, sagte Gregor, ob du es glaubst oder nicht: sie ist nicht mein Mädchen. Sie ist eine Jüdin, und sie sind hinter ihr her. Ich kenne sie seit drei Stunden. Ich habe sie unten am Hafen aufgegabelt, nachdem sie versucht hatte, mit dem Schweden wegzukommen.
    Na wenn schon, sagte Knudsen. Drei Stunden sind eine lange Zeit. Wahrscheinlich hast du dich in sie verknallt. Er sagte es aufs Geratewohl, und er konnte in der Nacht, die sie umgab, nicht die Röte in Gregors Gesicht sehen. Komm! sagte er noch einmal zu dem Jungen, es wird höchste Zeit.
    Mensch, sagte Gregor, wir müssen ihr helfen.
    Er spürte, daß Judith bereits aufgegeben hatte. Sie hatte sich abgewandt und war ein paar Schritte den Strand hinaufgegangen. Das hast du dir fein ausgedacht, sagte Knudsen. Wenn ich das Mädchen an Bord nehme, dann gibt’s ja eigentlich keinen Grund, daß ich dich nicht auch noch mitfahren lasse, - so hast du dir es wohl ausgedacht, was?
    Gregor fühlte, daß er diesen in seinen Enttäuschungen erstarrten Fischer nicht überzeugen konnte. Trotzdem sagte er: Ich fahre auf keinen Fall mit. Ich brauch dich nicht, um ‘rauszukommen.
    Dann nimm doch du sie mit, erwiderte Knudsen, wenn du dich so stark fühlst!
    Einen Augenblick lang hing Gregor diesem Gedanken nach. Vielleicht wäre es das Beste, dachte er, aber es wäre auch das Gefährlichste. Und außerdem will ich allein bleiben. Ich will allein ‘raus und draußen will ich allein sein, allein wie dieser Bursche aus Holz, so allein will ich lesen wie er, und so allein wie er will ich aufstehen und fortgehen, wohin ich will, wenn ich genug gelesen haben werde.
    Wenn ich dieses Frauenzimmer mitnehme, dachte Knudsen, dann ist meine Idee beim Teufel. Die Figur kann ich über Bord werfen, aber das Mädchen nicht. Er sah seinen Kutter draußen auf dem dunklen Wasser sich bewegen, und er dachte: Verdammt, ich will mein Boot behalten, ich will Fische heimbringen, ich will bei Bertha bleiben und warten, bis die Anderen verschwunden sind und die Partei wiederkehrt. Und wenn die Anderen bleiben und die Partei niemals mehr zurückkommt, dann ist es erst recht sinnlos, wenn ich mein Leben und mein Boot und Bertha für irgendein jüdisches Mädchen oder für einen Heiligen aus der Kirche aufs Spiel setze. Und schon gar nicht für das, was dieser Kerl, der sich Gregor nennt, im Sinn hat, eine Aktion, die mit der Partei gar nichts zu tun hat, eine Aktion, die sich ein Deserteur ausgedacht hat, eine ganz private Sache.
    Als Knudsen sich zum Gehen wenden wollte, schlug Gregor zu. Er traf Knudsen vor die Brust, und der Fischer taumelte zurück und hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Er war so überrascht, daß er einige Sekunden brauchte, um sich zur Gegenwehr zu sammeln.
    Gregor ließ ihm dazu Zeit. Er hatte sich, während sie draußen auf dem Haff gerudert hatten, alles genau überlegt, und er hatte sich entschlossen, Gewalt anzuwenden, wenn Knudsen sich weigern würde, das Mädchen mitzunehmen. Er verstand nichts von Booten, aber er kannte sich mit Motoren aus und wußte, daß es nicht schwer war, einen Bootsmotor anzuwerfen, und leicht, ein Boot zu steuern. Der Junge konnte sicherlich ein Boot steuern, er hatte es bestimmt schon oft getan, und notfalls mußte man Knudsen niederschlagen und den Jungen und das Mädchen allein auf die Fahrt schicken. Und wenn der Junge nicht mitmachte, dann mußte er, Gregor, mit aufs Boot und den Jungen zwingen, seine Befehle auszuführen.
    Knudsen kam heran. Er hatte seine Mütze verloren, und Gregor sah sein kurzes Haar und die harten Falten auf der Stirn.
    Du Schwein, sagte er zu Gregor, du dreckiges Schwein! Gregor spürte Knudsens Härte. Der Fischer hatte Arme, die nur aus zähen Muskeln bestanden; sie umklammerten Gregor wie eiserne Bänder. Aber Gregor war der Jüngere, Knudsen konnte nicht recht weiter kommen als bis zu diesem Griff. Während Gregor sich still hielt und gegen die Klammer spannte, sah er, wie Judith ihre Hände gegen den Mund preßte, als wolle sie einen Schrei unterdrücken, und er hörte ihren Ruf: Nicht! Das dürfen Sie nicht!
    Dann hatte er den Ring
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