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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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Vielleicht müßte man ihn vernichten? Vielleicht ist es besser, der ›Klosterschüler‹ stirbt, als daß er - wie sagten Sie vorhin? - ach ja, als daß er magaziniert wird. Glauben Sie an das ewige Leben, Herr Doktor? Auch an das ewige Leben einer Figur, die gestorben ist, weil sie nicht ausgeliefert wurde? - Aber es war hoffnungslos gewesen. - Es wird sehr unangenehme Folgen für Sie haben, Herr Pfarrer, Folgen, vor denen wir Sie dann nicht mehr schützen können. - Der junge Mann, der Taktiker, war unfähig, an etwas anderes zu denken als an das, was er ›die Folgen‹ nannte. - Sagen Sie in Rostock, ich würde dafür sorgen, daß der ›Klosterschüler‹ in der Kirche bleibt! - Der junge Mann hatte die Achseln gehoben.
    Während der Pfarrer mit Knudsen sprach, in der kalten klaren Luft, die von der See herkam, wurde er sich endgültig darüber klar, daß der ›Lesende Klosterschüler‹, der jetzt noch unberührt, einen halben Meter hoch und aus Holz geschnitzt am Fuß des nordöstlichen Pfeilers der Vierung saß, das innerste Heiligtum seiner Kirche war. Er hatte ihn vor ein paar Jahren von einem Bildhauer erworben, dem kurz darauf die Anderen verboten hatten, sein Handwerk auszuüben. Weil die Anderen den ›Klosterschüler‹ angreifen, dachte Helander, ist er das große Heiligtum. Den mächtigen Christus auf dem Altar lassen sie in Ruhe, sein kleiner Schüler ist es, der sie stört. Das Mönchlein, das liest. Der ganze Riesenbau der Kirche wird um dieses stillen Mönchleins willen auf die Probe gestellt, dachte Helander. Und: die Kirche, das bin leider nur ich. Was hatte der Amtsbruder von der Nicolai-Kirche gesagt? Diese modernen Dinge gehörten sowieso nicht in die Kirche, hatte er abgewehrt. Der ›Klosterschüler‹ ist nicht modern, er ist uralt, hatte Helander eingewendet. Aber es war vergeblich gewesen. Und zu dem von der Marienkirche war Helander gar nicht erst gegangen; der gehörte zu den Anderen. So ist es gekommen, daß ich einen, der nicht an Gott glaubt, anbetteln muß, den kleinen Mönch für die Kirche zu retten, dachte der Pfarrer. Ich muß den Mönch zum Probst von Skillinge schicken. Oder ihn zerstören. Ausgeliefert darf er nicht werden.
    Tut mir leid, sagte Knudsen, das kommt für mich nicht in Frage. Der Pfarrer schrak aus seinen Gedanken hoch. Was haben Sie gesagt? fragte er.
    Daß ich es nicht machen kann, erwiderte Knudsen. Er zog seinen Tabaksbeutel hervor und begann sich umständlich seine Pfeife zu stopfen.
    Und warum nicht? fragte Helander. Fürchten Sie sich?
    Klar! sagte Knudsen.
    Das ist nicht der einzige Grund.
    Knudsen zündete sich seine Pfeife an. Er sah dem Pfarrer direkt in die Augen, als er sagte: Glauben Sie, ich riskiere mein Leben für eines Ihrer Götterbilder, Herr Pfarrer?
    Es handelt sich um kein Götterbild.
    Na, es wird schon irgendso eine heilige Figur sein, sagte Knudsen grob.
    Ja, sagte Helander, es ist eine heilige Figur.
    Der Spinner, dachte Knudsen. Heilige Figuren, das gab’s gar nicht.
    So heilig wie für Sie ein Bild von Lenin, sagte Helander.
    Lenin war kein Heiliger, erwiderte Knudsen. Lenin war ein Führer der Revolution.
    Und die Revolution? Ist sie für Sie nicht etwas Heiliges, Knudsen?
    Hören Sie auf! sagte Knudsen. Ich kann es nicht hören, wenn ein Bürger von der Revolution redet. Sie haben keine Ahnung, wie falsch das klingt.
    Ich bin kein Bürger, sagte Helander wütend. Ich bin ein Pfarrer.
    Ein Pfarrer für die Bürger, Herr Pfarrer! Und das ist der Grund, warum ich nicht für Sie nach Skillinge fahre.
    Es war nicht der ganze Grund, Helander spürte es. Er blickte auf das Stück offene See hinaus, auf das Stück kaltes Blau, in dem ein mennigroter und weißer Fleck unter einer Rauchfahne erschienen war, ein kleiner Dampfer, der Kurs auf Rerik nahm. Knudsen verschanzt sich hinter seinen Sprüchen, dachte der Pfarrer. Es muß noch einen anderen Grund geben, warum er mir meine Bitte abschlägt.
    Für die Partei würden Sie also rüberfahren, Knudsen? fragte er. Knudsen stieß eine Rauchwolke aus seinem Mund. Er blickte über den Kai. Die beiden Frauen waren gerade dabei, auseinanderzugehen. Der Wirt des ›Wappen von Wismar‹ hatte vor einer Weile begonnen, Kästen mit leeren Bierflaschen auf die Straße zu stellen, und Knudsen beobachtete, daß er jedesmal, wenn er herauskam, einen schnellen Blick auf das Gespräch an der Kaimauer warf. Knudsen hatte für so etwas ein Auge.
    Wir fallen auf, Herr Pfarrer, sagte er.
    Sie tauschten
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