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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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sie mich nie dorthin geschickt hätten, dachte Gregor, in das Land, in dem wir gesiegt haben. Wenn der Sieg errungen war, hatte man Zeit, sich für anderes zu interessieren als für den Kampf. Sie hatten ihm zwar gepredigt, auch in ihrem Lande ginge der Kampf weiter, aber ein Kampf nach dem Sieg war etwas ganz anderes als ein Kampf vor dem Sieg. Am Abend von Tarasovka hatte Gregor begriffen, daß er Siege haßte.
    Was hatte er aus Moskau mitgebracht? Nichts als einen Namen. In die Lenin-Akademie trat man ein wie in ein Kloster: man legte seinen Namen ab und wählte einen neuen. Er ließ sich Grigorij nennen. Während er in Moskau die Technik des Sieges studierte, hauen die Anderen in Berlin gesiegt. Man schickte ihn über Wien zurück, mit einem falschen Paß, der auf den Namen Gregor lautete. Er lernte eine dritte Form des Kampfes kennen: den Kampf nach einer Niederlage. In den Kampfpausen dachte er an den goldenen Schild von Tarasovka. Die Genossen im Zentralkomitee waren nicht mit ihm zufrieden. Sie fanden, er sei flau geworden.
    Der Junge
    Er öffnete den Einfüllstutzen des Tanks und ließ das Treiböl hineinlaufen, zäh und gelb floß es hinein, und der Junge dachte: ich rieche Dieselöl gern. Er stand gebückt in dem niedrigen Raum, in dem sich der Motor befand, und er dachte: der Treibstoff würde reichen zu einer Fahrt über die Ostsee, bis nach Kopenhagen rüber oder Malmö. Aber Knudsen kommt nie auf die Idee, mal ‘nen kleinen Ausflug zu machen, keiner von ihnen kommt auf solche Ideen, nur Vater hat es nicht genügt, immer bloß in der kleinen Küstenfischerei herumzuschippern. Vielleicht hat Vater getrunken, aber er hatte auch Ideen, dachte er, und wahrscheinlich haben sie ihn deswegen nicht leiden können. Ich glaube, nicht einmal Mutter konnte ihn leiden. Wenn mal von ihm die Rede ist, fängt sie zu nölen an. Er ließ die letzten Tropfen aus der Kanne rinnen und wischte den Einfüllstutzen mit einem Lappen sauber, ehe er ihn zuschraubte. Wenn Knudsen wüßte, wie gut ich mich mit den Seekarten auskenne, dachte er; ich habe die See zwischen Rerik und Fehmarn und Falster und östlich bis zum Darß und rüber nach Moen im Kopf. Spielend würd ich den Kutter über die Ostsee bringen. Wohin? Ach, dachte er, irgendwohin.
    Helander - Knudsen
    Pfarrer Helander erschrak zuerst, als er den leeren Hafen erblickte. Aber dann sah er den einen Kutter und auf ihm Knudsen. Ein glücklicher Zufall! Es war besser, Knudsen im Freien anzusprechen, als zu ihm ms Haus zu gehen. Es wäre in Rerik sehr aufgefallen, wenn Pfarrer Helander Knudsens Haus betreten hätte. Dagegen ihn, wenn man ihn im Freien traf, mit ein paar Worten festzuhalten, das war ganz in Ordnung.
    Knudsen beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, das konnte er sehen. Helander näherte sich ihm langsam, auf seinen Stock gestützt; er hinkte heute stärker als sonst. Der Hafenkai war ziemlich breit, mit runden Kopfsteinen gepflastert. Ein Lastauto rumpelte darüber hin, an den niedrigen roten Treppengiebelhäusern entlang; nur das ›Wappen von Wismar‹ war weiß gestrichen, mit grünen Fensterumrandungen und einem goldenen Messingknauf an der Tür. Endlich stand Helander an der Kaimauer, dort, wo die ›Pauline‹ festgemacht hatte. Durch das Takelwerk des kleinen Küstenkutters hindurch konnte der Pfarrer ein Stück der offenen See erkennen, weit draußen, rechts von dem Leuchtturm auf der Lotseninsel, der von hier aus ganz klein aussah. Knudsen saß neben dem Steuerhaus und putzte Lampen, die kalte Pfeife zwischen den Zähnen. Von drunten, aus dem Motorenraum drang Rumoren, das mußte der Junge sein. Schicken Sie den Jungen weg, Knudsen! sagte der Pfarrer. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.
    Das war stark, dachte Knudsen. Immer sehr direkt, der Herr Pfarrer. Der Pfaffe. Ein Pfaffe mit einem geraden Maul.
    Der Junge wird gleich fertig sein, sagte er. Er füllt nur noch die Tanks auf.
    Warum sind Sie nicht mit den anderen draußen? fragte der Pfarrer, während sie warteten.
    Die Galle, antwortete Knudsen. Ein Gallenanfall.
    Helander hörte, daß Knudsen log. Knudsen war so gesund wie immer. Die Galle, sagte er. So, die Galle! Haben Sie sich geärgert, Knudsen, oder haben Sie nur fett gegessen?
    Knudsen sah ihn an. Geärgert, erwiderte er.
    Der Pfarrer nickte. Von der kleinen Werft im Osten des Hafenbeckens her drang der kreischende Klang eines Hammers. Danach die Stimmen der Glocken aller Kirchen der Stadt. Zwei Schläge. Halb vier.
    Knudsen erinnerte sich,
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