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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann
Autoren: Heinz Sobota
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    Mit fünf Jahren, 1949
     
    Das Gesicht des Vaters ist hart und kantig. Hänge, verschneit, hinter dem Zugfenster. Verhüllte Bergspitzen. Mutter sitzt still. In ihrem Gesicht ist nicht viel.
    Ich bin das einzige Kind. Wir sind eingeladen, bei Bekannten, im Nachbarort. Da gibt es ein Mädchen, Monika, ebenso alt wie ich. Sie mag ich. Andere Mädchen kann ich nicht ausstehen. Sind betulich und riechen nach Seife und Furcht.
    Vor einigen Tagen war sie mit den Eltern bei uns. Ich habe ihr versprochen, heute werden wir einen Schneemann bauen.
    Der Zug hält. Wir sind angekommen. Sie erwarten uns. Monika ist klein, pummelig. Ihre Mutter resolut und gelbhaarig. Der Vater dahinter, schmächtig.
    Wir laufen vor den Erwachsenen her. Ich werfe sie in den Schnee. Sie hält mich an den Beinen fest. Wir purzeln übereinander. Ich ziehe sie an den Haaren hoch. Sie schreit. Ihre Mutter lacht. Vor dem Haus dehnt sich eine glatte Schneefläche. Die Eltern gehen ins Haus.
    Monika rollt schon eine Schneekugel. An einem anderen Fleck, weitab, beginne ich dasselbe. Nach einigem Hantieren sind meine Finger klamm und rot. Meine Fäustlinge sind weg. Ach ja, ich habe sie meiner Mutter gegeben.
    »Ich hole mir meine Handschuhe«, sage ich. Sie nickt, buddelt weiter. Vor dem Eingang stampfe ich mir den Schnee von den Schuhen. Da kommen meine Mutter und Monikas Vater aus dem Haus. »Wo sind meine Fäustlinge?« sage ich. Mutter reibt meine Hände. »Im ersten Stock, im Zimmer neben der Treppe, dein Schal liegt daneben, binde ihn um«, sagt sie, »der Onkel und ich gehen zur Großmutter.« Sie deutet auf ein geducktes Haus jenseits der Schneefläche. Der Mann und sie gehen miteinander redend davon.
    Ich drücke die große, schmiedeeiserne Türklinke auf und gehe zur Treppe. Ein dicker Teppich schluckt das Geräusch meiner Schritte. Im Stockwerk steuere ich auf die Tür neben dem Treppenende zu. Ich vergesse anzuklopfen. Ich öffne. Die Türe ist schwer, schwingt aber lautlos in den Angeln. Noch in der Bewegung sehe ich die Frau und meinen Vater auf dem Bett, seitlich an der Wand des Zimmers. Sie bemerken mich nicht, vielleicht auch, weil ein großer Kasten vorsteht und ich die Türe bis auf einen Spalt schließe. Ich schaue. Der Mann zwischen den Beinen der Frau ist mein Vater. Er hat keine Hose an und drückt sein Gesicht gegen die Frau. Die Frau ist Monikas Mutter. Das gelbe Haar liegt über die Polster gebreitet.
    Sie stöhnt und hat das Kleid bis über den Bauch hochgeschoben, darunter ist sie nackt. Mein Vater bewegt sich zwischen ihren gespreizten Beinen auf und nieder. Jetzt werden ihre Bewegungen heftiger und wilder. Dann stöhnt mein Vater, die Frau schreit auf und wirft die Beine um meinen Vater …
    Was tun die beiden? Ich habe die Tür langsam zugemacht, jetzt drücke ich sie geräuschlos ins Schloß. Das Stöhnen habe ich in den Ohren, das Bild vor Augen. Ich gehe zur Treppe, bleibe dort stehen, das Gesicht gegen die Wandtäfelung gedrückt. Plötzlich denke ich an Mutter.
    Er hat doch eine Frau, wozu braucht er die gelbhaarige Frau zu umarmen und zu küssen? Er hat sie umarmt, ich habe es gesehen. Hose hat er auch keine angehabt, und die Frau war auch halbnackt.
    Etwas sträubt sich in mir gegen das Geschehene – Wellen von Abwehr und Ekel laufen über mich hin. – Ich muß zu Mutter. Dann laufe ich die Treppe hinunter und aus dem Haus.
    Monika wirft mir Schnee nach. Sie ruft mir etwas zu, aber in meinen Ohren braust es. Ich kann nichts verstehen. Ich laufe über das Schneefeld zu dem kleinen Haus. Auf den Stufen zögere ich und setze mich, vielleicht ist es besser zu warten, bis meine Mutter kommt.
    Eine unerklärliche Scheu läßt mich das Haus nicht betreten … was ich gesehen habe … undeutlich weiß ich, daß es gegen die Mutter gerichtet ist. Oft schon hat Mutter, wenn Vater auf Reisen war, zu mir gesagt: »Jetzt bist du der Mann im Haus, du wirst mich schon beschützen.« Ich wurde ganz stolz und aufgeregt. Lange lag ich wach und versuchte die Angst zu überwinden, wenn im Dunkeln der alte Schrank knarrte oder in Föhnnächten Dachlawinen zu Boden donnerten. Jetzt hier auf den Stufen denke ich nach – und plötzlich erscheint mir Mutter sehr schutzlos. Wenn ich an Vater denke, gärt es in mir und ich möchte wegschauen. Gehörte er noch zu uns … zu uns? Ich weiß es doch nicht. Aber irgendwie erscheint es mir, als wäre er aus einem Zimmer gegangen, in dem wir drei waren, und hat eine Türe geschlossen – und in
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