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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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derjenige als weltfremd schelten lassen, der sein Heil in Begriffen sucht, die ihrer Bedeutung entkleidet wurden. Das ist ein gefährlicher Prozess.
    Dieses Buch erzählt von jener Entfremdung. Es ist ein Streifzug, eine Expedition durch die Gegenwart eines Systems, das seine eigenen Versprechen bricht. Und am Ende stößt man auf ein einziges Wort. Ein altmodisches Wort, in dem aber die einzige Hoffnung liegt, verschüttet, schwer auszumachen, noch undeutlich: Radikalität.
    Die Suche führt uns von außen nach innen und wieder zurück: Was ist? Was empfinden wir? Und was sollen wir? Welches Regime erleben wir? Welchen Reflex löst es bei uns aus? Welche Reaktion sollten wir von uns verlangen? Es geht darum, Begriffe zurückzuerobern: Gerechtigkeit, Gesetz, Gleichheit, Demokratie, Freiheit: Ein trübsinniger Kapitalismus hat uns diese Begriffe geraubt. Wir haben unsere Verantwortung delegiert – und dann ist sie im Dickicht furchtsamer Politiker, gieriger Banker und verständnisvoller Journalisten einfach verschwunden. Darum ist es zu wenig, bei der Wahl die Stimme abzugeben und danach zu schweigen.
    Wir werden also um die Frage nach den Handlungen nicht herumkommen. Das richtige Bewusstsein allein schafft noch nicht das richtige Sein. Der Schriftsteller Ingo Schulze hat darüber nachgedacht und kommt zu dem Schluss: »Wir müssen über die Geste und die symbolische Handlung hinaus unseren Willen gewaltlos kundtun, und dies – wenn nötig – auch gegen den Widerstand der demokratisch gewählten Vertreter.« 3
    Da spürt man schon das Beben, das den Autor erfasst hat bei dem Gedanken, sich ernsthaft aufzumachen – »über die Geste und die symbolische Handlung hinaus«. Schulze weiß ja auch, dass sich an Gesten und nur symbolischen Handlungen niemand mehr stört. Und an Worten ohnehin nicht. Sahra Wagenknecht hat einmal ein neues Buch auf Sylt vorgestellt, nicht eben ein sozialrevolutionäres Zentrum der Republik. Man muss sich das so vorstellen, dass die Frau, die sich mal als Kommunistin ausgab, ihr Werk mit den Worten signierte: »Für eine bessere Welt.« Womöglich bestiegen die Leute dann befriedigt ihre Porsche Cayennes und fuhren zum Pflaumenkuchenessen ins Gogärtchen nach Kampen. Auf Sylt, dieser Gedanke drängt sich auf, liegen Signieren und Resignieren ganz nah beieinander.
    Auch die gutmeinende Geste bleibt ein leeres Zeichen. Was liegt denn jenseits der Gesten und symbolischen Handlungen? Der Körper. Wir werden dazu kommen, dass der Körper in die Politik zurückkehren muss. Auf die eine oder andere Weise. Bedeutet das Gewalt? Ingo Schulze spricht von der Gewaltlosigkeit. Er hat im Osten einen gewaltlosen Umsturz der Verhältnisse erlebt. Allerdings hatte er es mit Verhältnissen zu tun, die schon brüchig waren und nicht so schwer zu stürzen. Das ist heute nicht so. Gleichwohl: Die Revolution würde in Deutschland bekanntlich nur nach vorheriger Lösung einer Bahnsteigkarte erfolgen. Nur, was geschieht, wenn es mit Schulzes Willensbekundung nicht mehr getan ist?
    Das Tabu der Gewalt ist eines der wenigen, das hält. Da sind sich alle einig. Wer würde öffentlich zur Gewalt aufrufen? Er würde sich strafbar machen, nach Gesetz und nach öffentlicher Meinung. Paragraph 111 des Strafgesetzbuches stellt fest, wie auf die »Öffentliche Aufforderung zu Straftaten« zu reagieren ist: »Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter bestraft.« Und der Anstifter wird, wie es in der einschlägigen Vorschrift heißt, »gleich einem Täter bestraft«. Das sollte man sich merken: Es kommt das ernstgemeinte und das ernstgenommene Wort der Tat gleich.
    Aber wer die Gewalt verdammt, sollte sich auch darüber klar werden, was er damit aufgibt, wo eigentlich die Gewalt beginnt, wer sie ausübt und wer ihr Opfer wird.
    Oskar Negt hat gesagt, es sei ein Irrtum zu glauben, die Theorien müssten in die Praxis umgesetzt werden. Aber er erinnert an das Wort von Adorno, nach dem wir nicht wissen, was die Dinge sind, wenn wir nicht wissen, was über sie hinausgeht.
    Es ist an der Zeit, wieder das Wünschen zu lernen. Und das Handeln.

TEIL 1 REGIME

03 GERECHTIGKEIT
    Als die Staaten die Banken retten mussten und die Finanzkrise ihren Scheitelpunkt erreichte, der gleichzeitig der moralische Tiefpunkt des Kapitalismus war, da gelangte ein Thema an die Oberfläche, von dem lange nicht mehr geredet worden war: Gerechtigkeit.
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