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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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kaum bei Gericht verklagen wegen meines harmlosen Streichs. Es läge nicht in seinem Interesse.«
    »In Moskau ist das Gesetz Seine Durchlaucht Fürst Dolgorukoi«, erwiderte Fandorin dem Frechling im gleichen Ton. »Oder glauben Sie, Herr Pikbube, allen Ernstes an die Unabhängigkeit der Gerichtsinstanzen? I-Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie den Generalgouverneur schwer beleidigt haben. Und was ist mit dem Engländer? Die Stadt muß ihm hunderttausend zurückzahlen.«
    »Verehrter Erast Petrowitsch, ich weiß zwar nicht, von was für einem Engländer Sie reden.« Der Gerettete breitete die Arme aus. »Aber für Seine Durchlaucht empfinde ich aufrichtige Hochachtung. Ich schätze zutiefst sein gefärbtes Grauhaar. Wenn Moskau Geld braucht, nun, ich habe für die Stadtkasse einen ganzen Sack voll erbeutet. Jeropkin hat aus Habgier gesagt, das Geld gehöre ihm, doch wenn er sich abgekühlt hat, wird er es bestreiten. Ich habe keine Ahnung,wird er sagen. Und die Summe unbekannter Herkunft kann für Moskauer Bedürfnisse verwendet werden. Dafür dürfte mir ein Prozentchen Provision zustehen.«
    »Na ja, das klingt vernünftig«, sagte der Hofrat nachdenklich. »Immerhin haben Sie der Gräfin Ariadna Arkadjewna ihre Sachen zurückgegeben. Und auch meinen Rosenkranz nicht vergessen … Nun gut. Also nach dem Gesetz. Werden Sie auch nicht bereuen, daß Sie meine Gerechtigkeit ausgeschlagen haben?«
    Das Gesicht des unauffälligen Herrn zeigte Unschlüssigkeit.
    »Gehorsamsten Dank, aber wissen Sie, ich bin es gewohnt, mich auf mich selbst zu verlassen.«
    »Na, wie Sie meinen«, sagte Fandorin achselzuckend und warf lässig hin: »Sie können sich zum Teufel sch-scheren.«
    Anissi erstarrte. Der Pikbube sprang hurtig auf die Füße, als fürchte er, der Beamte könne es sich anders überlegen.
    »Besten Dank! Ich schwöre, mich nie wieder in dieser Stadt blicken zu lassen. Überhaupt habe ich mein rechtgläubiges Vaterland satt. Komm, Mimi, wir wollen dem Herrn Fandorin nicht länger auf die Nerven fallen.«
    Fandorin hob die Hand.
    »Ihre Begleiterin kann ich leider nicht ziehen lassen. Wenn es nach dem Gesetz gehen soll, ist da noch die Sache mit der Lotterie. Es gibt Geschädigte, es gibt Zeugen. Eine Begegnung mit dem Richter ist da unvermeidlich.«
    »Oi!« schrie das Mädchen so kläglich, daß Anissi beklommen ums Herz wurde. »Momtschik, ich will nicht ins Gefängnis!«
    »Da kann man nichts machen, Kleines, Gesetz ist Gesetz«, antwortete der Spitzbube herzlos und wich sacht zur Tür. »Keine Bange, ich kümmere mich um dich. Du kriegst den teuersten Anwalt, wirst sehen. Ich kann also gehen, Erast Petrowitsch?«
    »Halunke!« stöhnte Mimi. »Halt! Wo willst du hin?«
    »Ich gedenke, nach Guatemala zu gehen«, plauderte »Momtschik« lebensfroh. »Ich habe in der Zeitung gelesen, daß es dort wieder einen Umsturz gegeben hat. Den Guatemalteken hängt die Republik zum Halse heraus, und sie suchen einen deutschen Prinzen für ihren Thron. Vielleicht eigne ich mich dafür?«
    Er winkte und verschwand durch die Tür.
    Die Gerichtsverhandlung gegen die ledige Maria Nikolajewna Maslennikowa, vormals Schauspielerin an Petersburger Theatern, angeklagt wegen Betrugs, verbrecherischer Absprache und Flucht aus der Haft, fand Ende April statt, in der gesegneten nachösterlichen Zeit, in der die Zweige saftige Knospen ansetzen und an den Rändern der noch schlammigen, doch schon trocknenden Landstraßen das erste Grün hervorschaut.
    In der Öffentlichkeit fand der Prozeß kaum Interesse, denn es war keiner von den großen Fällen, gleichwohl saß im Saal ein halbes Dutzend Reporter; es gingen ja vage, doch hartnäckige Gerüchte um, wonach die unrühmliche Affäre mit der Lotterie irgendwie mit den berühmten Pikbuben zusammenhing, darum hatten die Redaktionen für alle Fälle ihre Vertreter entsandt.
    Anissi war als einer der ersten gekommen und hatte einen Platz nahe der Anklagebank gefunden. Er war tüchtig aufgeregt, denn er hatte in den letzten beiden Monaten recht oft an das fröhliche Fräulein Mimi und an ihr unglückliches Los gedacht. Jetzt also stand die Lösung des Knotens bevor.
    In der Zwischenzeit hatte es im Leben des einstigen Botengängers erhebliche Veränderungen gegeben. Nachdem Fandorin den Pikbuben hatte laufenlassen, kam es zu einer unangenehmen Auseinandersetzung mit dem Generalgouverneur. Der Fürst geriet in unbeschreibliche Wut, wollte nichts hören und schalt den Hofrat sogar einen
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