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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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andermal.
    »Sie wollen nicht?« Fandorin schöpfte eine Handvoll Schnee und rieb sich mit sichtlichem Genuß den Bauch ein. »Dann widmen Sie sich wieder Ihrer Arbeit. Genug gefaulenzt.«
    Wie findet man das? War es vielleicht Anissi, der zwei Tage lang im Hausmantel herumgehangen hatte?
    An Seine Hochwohlgeboren Herrn Fandorin 26. Februar, zweiter Tag der Observierung
    Ich bitte um Entschuldigung für die Handschrift, aber ich schreibe mit Bleistift, und das Papier liegt auf dem Rücken des Agenten Fjodorow. Den Zettel überbringt Agent Sidortschuk. Der Dritte, Lazis, wacht im Schlitten für den Fall einer plötzlichen Ausfahrt des Objekts .
    Mit dem Objekt geht etwas Unbegreifliches vor.
    In seinem Kontor war er weder gestern noch heute. Vom Koch erfuhr ich, daß seit gestern früh der junge Gottesnarr Paissi im Hause wohnt. Er verzehrt viel Schokolade und sagt,die sei während der Fasten erlaubt. Heute vor Tagesanbruch ist das Objekt, begleitet von Paissi und drei Dienern, mit dem Schlitten weggefahren. In der Jakimanka hat er uns abgeschüttelt und ist in Richtung Kalugaer Tor gefahren, seine Troika ist ausgezeichnet. Wo er war, wissen wir nicht. In der achten Stunde kam er zurück, er trug ein altes Messinggefäß in beiden Händen, es schien schwer zu sein. Das Objekt machte einen erregten, ja, verstörten Eindruck. Wie der Koch sagte, hat er nicht gefrühstückt, sondern sich in seinem Schlafzimmer eingeschlossen und lange mit irgendwas geklirrt. Im Hause wird gemunkelt von einem »riesigen Schatz«, den der Herr gefunden haben soll. Und total absurd: Dem J. soll die Heilige Jungfrau erschienen sein.
    Seit Mittag weilt das Objekt hier in der Kirche Unserer Lieben Frau von Smolensk, betet inbrünstig, schlägt vor der Allerheiligsten Ikone mit der Stirn auf den Boden. Der Gottesnarr ist bei ihm. Er sieht genauso aus wie in dem Bericht beschrieben. Ich füge nur hinzu, daß sein Blick lebhaft und aufmerksam ist, nicht wie sonst bei Gottesnarren. Kommen Sie her, Chef, hier braut sich etwas zusammen. Ich schicke jetzt Sidortschuk los und kehre in die Kirche zurück, um zu beten.
    Geschrieben um 17.46 Uhr und eine halbe Minute.
    A.T.
    Fandorin traf kurz nach sieben in der Kirche ein, als das endlose Gebet sich dem Ende näherte. Der vom anstrengenden Beobachtungsdienst ermüdete Tulpow (er trug eine blaue Brille und eine rötliche Perücke, um nicht mit seinem rasierten Schädel für einen Tataren gehalten zu werden) spürteeine Berührung an der Schulter – es war ein schwärzlicher kraushaariger Zigeuner in einem Fellmantel und mit einem Ring im Ohr.
    »Hör mal, Kleiner, reich das Gotteslicht weiter«, sagte der Zigeuner, und als Anissi, verdutzt über die familiäre Anrede, ihm die Kerze abnahm, flüsterte der Zigeuner mit Fandorins Stimme: »Ich sehe Jeropkin, aber wo ist der Junge?«
    Tulpow klapperte mit den Augen, begriff und zeigte vorsichtig mit dem Finger.
    Jeropkin lag auf den Knien, murmelte Gebete und verneigte sich unablässig. Hinter ihm kniete ein schwarzbärtiger Kerl, der wie ein Straßenräuber aussah. Er bekreuzigte sich nicht, sondern langweilte sich und gähnte sogar zweimal ausgiebig, wobei makellos weiße Zähne sichtbar wurden. Rechts von Jeropkin kniete mit gekreuzten Armen und himmelwärts blickenden Augen ein hübscher Knabe, der mit heller Stimme etwas sang. Er trug ein weißes Hemd, doch es war nicht so schneeweiß, wie die Fama berichtete, er mochte es lange nicht gewechselt haben. Anissi hatte einmal beobachtet, wie der Gottesnarr, das Gesicht in Gebetsekstase zu Boden geneigt, rasch ein Stück Schokolade in den Mund schob. Er selbst hatte einen Wolfshunger, aber Dienst ist Dienst. Selbst als er zwischendurch hinausgegangen war, um die Notiz zu schreiben, hatte er sich nicht erlaubt, auf dem Platz ein Fischpastetchen zu kaufen, so gern er es auch getan hätte.
    »Warum als Zigeuner?« fragte er flüsternd den Chef.
    »Als was sonst, wenn die Walnußfarbe nicht abgeht? Als Mohr vielleicht? Ein Mohr hat bei Unserer Lieben Frau von Smolensk nichts zu s-suchen.«
    Fandorin sah Anissi vorwurfsvoll an und sagte dann ohne das geringste Stottern etwas Unglaubliches: »Ich vergaß, Sie auf Ihren wesentlichsten Mangel aufmerksam zu machen, der sich nicht in einen Vorzug umdeuten läßt. Sie haben ein schlechtes visuelles Gedächtnis. Sehen Sie denn nicht, daß dieser Gottesnarr Ihre gute, ja, man kann sagen, intime Bekannte ist?«
    »Nein!« Anissi griff sich ans Herz. »Das kann nicht
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