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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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Seite entdeckten sie vor einer unauffälligen rostigen Tür einen Schlitten und ein Pferd, das an einen Baum gebunden war. Es wandte das Maul Anissi zu und wieherte leise und kläglich, denn es stand wohl schon lange da und langweilte sich.
    Fandorin legte das Ohr an die Tür und zog dann für alle Fälle an dem Griff. Überraschenderweise ging die Tür ohne einen einzigen Laut auf. In dem schmalen Spalt flimmerte trübes Licht, und eine schallende Stimme sprach seltsame Worte: »Wohin? Ich verwandle dich in einen Stein!«
    »Merkwürdig«, flüsterte der Chef und schloß eilig die Tür. »Die Angeln sind rostig, aber vor kurzem geschmiert worden. Na schön, warten wir, was passiert.«
    Fünf Minuten später krachte und polterte es, doch gleich darauf war alles still. Fandorin legte Anissi die Hand auf die Schulter: Nicht jetzt, noch zu früh.
    Nach weiteren zehn Minuten schrie eine Frauenstimme gellend: »Feuer! Wir brennen! Helft, gute Leute! Feuer!«
    Und eine Männerstimme fiel ein: »Feuer! Wir brennen! Feuer!«
    Anissi wollte zur Tür stürzen, aber stählerne Finger erwischten ihn am Rückengürtel und zogen ihn zurück.
    »Ich nehme an, das ist einstweilen Theater, und das Wichtigste kommt erst«, sagte der Chef halblaut. »Wir müssen das Finale abwarten. Die Tür ist nicht von ungefähr geschmiert worden, und auch das Pferd langweilt sich hier nicht zufällig. Wir beide, Tulpow, halten hier die Schlüsselstellung. Und Eile ist erst geboten, wenn keine Zeit mehr zu verlieren ist.«
    Fandorin hob lehrerhaft den Finger, und Anissi konnte nicht umhin, den Samthandschuh mit den Silberknöpfchen zu bewundern.
    Der Hofrat hatte sich für die nächtliche Operation stutzerhaft angezogen: langer Tuchmantel mit Futter aus Biberfell, weißer Schal, Seidenzylinder und in der Hand ein Rohrstock mit Elfenbeinknauf. Anissi trug zwar noch die rötliche Perücke, hatte jedoch erstmalig den Beamtenmantel mit den Wappenknöpfen angelegt und die neue Mütze mit dem Lackschirm aufgesetzt. Aber von Fandorin unterschied er sich, wozu es leugnen, wie der Spatz vom Enterich.
    Der Chef wollte noch etwas nicht minder Lehrreiches sagen, doch da erscholl hinter der Tür ein so herzzerreißender, von echter Qual zeugender Schrei, daß Anissi vor Überraschung auch aufschrie.
    Fandorins Gesicht spannte sich, er wußte sichtlich nicht, ob er noch warten sollte oder ob dies schon der Moment war, wo keine Zeit mehr zu verlieren war. Sein Mundwinkel zuckte nervös, und er neigte den Kopf zur Seite, als horchte er auf eine für Anissi unhörbare Stimme. Diese Stimme befahlihm offenbar zu handeln, darum riß er entschlossen die Tür auf und schritt vorwärts.
    Das Bild, das sich Anissis Blick bot, war wahrlich beeindruckend.
    Über einem Holztisch hing mit gespreizten Beinen an zwei Seilen ein weißbärtiger Greis in Husarenmontur und verrutschtem weißem Gewand. Hinter ihm stand, mit der langen Peitsche wippend, Jeropkins schwarzbärtiger Mordknecht. Jeropkin saß etwas abseits auf einem Stuhl. Vor ihm lag ein vollgestopfter Sack, und an der Wand hockten die beiden Männer, die auf dem Kutschbock gesessen hatten, und rauchten.
    Aber all das nahm Anissi nur mit halbem Auge wahr, denn er hatte sofort das zierliche Figürchen bemerkt, das leblos, mit dem Gesicht nach unten, am Boden lag. Mit drei Sprüngen war Anissi um den Tisch herum, stolperte über einen schwergewichtigen Folianten, hielt sich aber auf den Beinen und kniete sich neben der Liegenden hin.
    Nachdem er sie mit zitternden Händen auf den Rücken gedreht hatte, öffneten sich die blauen Augen in dem bleichen Antlitz, und die rosigen Lippen murmelten: »So was von rothaarig …«
    Gott sei Dank, sie lebte!
    »Was ist denn das hier für eine Folterkammer?« hörte er hinter sich die ruhige Stimme Fandorins, und er richtete sich auf, eingedenk seiner Pflicht.
    Jeropkin blickte verdattert auf den Stutzer mit dem Zylinder und auf den behenden kleinen Beamten.
    »Wer seid ihr?« fragte er drohend. »Komplizen? Kusma, los!«
    Der Schwarzbart machte mit der Hand eine kaum erkennbare Bewegung, und ein blitzschneller Schatten zuckte, die Luft zerschneidend, zum Hals des Hofrats. Fandorin riß den Rohrstock hoch, und die Peitschenschnur wickelte sich rasend schnell um das lackierte Holz. Ein kurzer Ruck, die Peitsche war der Riesenpranke des bärigen Kusma entrissen und befand sich in Fandorins Hand. Der wickelte gemächlich das straffe Leder ab, warf den Rohrstock auf den Tisch und zerriß
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